Eine hoffnungsvolle Stunde

Beim 7:0 der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Kuwait zeigt Rekonvaleszent Sebastian Deisler, dass er wieder rennen kann. Bis zur Weltmeisterschaft soll noch guter Fußball hinzukommen

aus Freiburg FRANK KETTERER

Nach gut einer Stunde war dann doch die Zeit gekommen, ein Zeichen zu geben. Genau 58 Spielminuten zeigte die digitale Uhr im Freiburger Dreisamstadion, als die Hoffnung des deutschen Fußballs ihrem Boss eher nebenbei und wie zuvor abgesprochen bedeutete, dass die Kräfte langsam aus den gebrechlichen Gebeinen zu schwinden drohten und somit der Moment gekommen sei, seinen Job zu beenden. Rudi Völler, ganz umsichtiger Teamchef, hatte auf das Zeichen bereits gewartet, längst das Nötige eingeleitet, und so stand nur drei Zeigerumdrehungen später ein Mann am Seitenaus und hob das Täfelchen mit einer leuchtenden Zehn in den lauwarmen badischen Nachthimmel. Keine weitere Minute später klatschte Sebastian Deisler dreimal die Hände über dem Kopf zusammen, was als Dank ans Publikum gerichtet war, dann verschwand der Bald-Bayer schnurstracks in den Katakomben nahe der Dreisam.

Nun sind 62 Minuten gewiss keine Ewigkeit, auch für einen Fußballer nicht. Besondere Beachtung fand der Auftritt Deislers im Breisgau aber dennoch, und das nicht nur weil Vater und Mutter vom nahen Lörrach, dem Familienstammsitz, herübergefahren waren, um den Auftritt ihres Filius zu bestaunen. Nein, der 17. Nationalmannschaftseinsatz des 22-Jährigen hatte eine größere, weit bedeutendere Dimension, was schon daran ersichtlich wurde, dass Bild eigens einen Mann ins Stadion geschickt hatte, um Deisler unters fußballreporterische Mikroskop zu legen: Ballkontakte, gewonnene und verlorene Zweikämpfe, Torschüsse, angekommene und nicht angekommene Pässe sowie Freistöße und Eckbälle wurden da per Liste geführt – und nach 62 Minuten war dann tatsächlich einiges an Strichen zusammengekommen, sogar einer für ein Tor, das dritte von insgesamt 7 gegen den total überforderten Testgegner aus der Wüste Kuwaits, von Deisler höchstselbst erzielt in der 40. Minute.

Ob aber all die Strichlein auf dem Block und selbst das Tor ausreichen, um den 22-Jährigen auf dem rechten Weg zu wähnen, jenem zur WM nach Japan und Südkorea nämlich, wohin Teamchef Völler Deisler unbedingt mitnehmen möchte – obwohl der so lange verletzt war und über Spielpraxis verfügt, die gegen null tendiert? Im Oktober letzten Jahres war es, dass die Kapsel in Deislers rechtem Knie riss und die Kreuzbänder gleich ein bisschen mit. Seither hat der 22-Jährige viel bei Reha-Maßnahmen mitgemacht und wenig beim Fußball. Genauer: Zweimal war er noch aufgelaufen in der Bundesliga, im März nämlich, dann riss ihm ein Muskelbündel im Oberschenkel. Die 16. Verletzung, so hat es ein Kollege (nicht der von Bild) gezählt, sei es gewesen. Und das ist eine durch und durch traurige Statistik für einen gerade mal 22-Jährigen.

Es gibt also ein paar gar nicht so schlechte Gründe, Deislers Mitwirken beim anstehenden Fußballfest in Asien eher skeptisch zu beäugen; auch der Teamchef und sein Spieler wissen darum; das waghalsige Experiment durchzuziehen sind sie dennoch wild entschlossen. Und so kann auf dem gemeinsamen Weg gen Japan selbst eine zurückhaltende Leistung gegen einen Sparringspartner vom Niveau einer hiesigen Bezirksligaelf zum Fingerzeig dafür verrutschen, dass am Ende, sprich zum WM-Start gegen Saudi-Arabien am 1. Juni, doch noch alles gut wird mit dem Jung Siegfried des deutschen Fußballs. „Wir sind natürlich alle froh, dass er eine Stunde durchgespielt hat“, sagte Rudi Völler, der Mensch gewordene Optimismus, nach dem 7:0 über Kuwait deshalb. Eine Stunde Fußball – 23 Tage vor WM-Beginn unzweifelhaft eine beachtliche Leistung für einen, der im Ernstfall das deutsche Spiel lenken soll neben dem Leverkusener Michael Ballack. Der fehlte beim Freiburger Vatertagskick wegen der heutigen Pokalverpflichtungen ebenso wie seine Mannschaftskollegen Neuville, Ramelow, Schneider und der Schalker Asamoah sowie zudem Rehmer, Ziege (beide angeschlagen) und Hamann (mit Liverpool im Ligaeinsatz). Zwar habe es, das wollte Völler durchaus nicht beschönigen, zumal es augenscheinlich war, Deisler noch an Antritt und Spritzigkeit gefehlt, beides aber, so der Teamchef, werde er schon noch bekommen. Schließlich sind ja noch gut 3 Wochen Zeit.

Völlers Einschätzung samt inbegriffenem Zeitspiel dürfte nicht rein zufällig ziemlich deckungsgleich sein mit jener von Deisler selbst. „Zufrieden, dass ich gespielt habe. Nicht zufrieden, dass ich ein paar Bälle verloren habe, was sonst nicht meine Art ist“, zeigte sich der kickende Jungstar, andererseits sei es doch „völlig klar“, dass „noch nicht alles so rund läuft“, schon weil er, Deisler, „nach so langer Zeit“ auch im Kopf „noch nicht so weit“ sei. „Meine Gegenspieler waren gedanklich schneller und haben Situationen einfach schneller vorhergesehen“, fand Deisler. Was er anzustellen gedenkt, wenn auf der anderen Seite plötzlich Franzosen, Argentinier und Brasilianer oder auch nur Iren und Kameruner stehen, sagte Deisler indes nicht. Dafür versprach er mindestens ein halbes Dutzend Mal, in den kommenden drei Wochen „jeden Tag zu rackern, damit ich bei der WM hundert Prozent fit bin“. Wie gesagt: Es ist ja noch Zeit.

Deutschland: Kahn - Frings, Linke, Metzelder, Rahn - Jeremies, Kehl (67. Ernst) - Deisler (62. Freier), Klose - Jancker, Bierhoff (73. Bierofka) Zuschauer: 22.000; Tore: 1:0 Frings (10.), 2:0 Bierhoff (24.), 3:0 Deisler (40.), 4:0 Bierhoff (43.), 5:0 Al-Shamari (45./Eigentor), 6:0 Bierhoff (71./Foulelfmeter), 7:0 Jancker (77.)