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All that Saz

Zwei Souveräne: Die Popsängerin Sezen Aksu und Saz-Virtuose Arif Sag beim Konzert in Berlin

von DANIEL BAX

Sezen Aksu kann sie alle auf sich vereinen: Da sind die Studenten, die auf den Treppenstufen in die Sonne blinzeln, und die Arrivierten im Anzug oder Abendkleid. Da sind die Promoterteams des türkischen Radiosenders Metropol, die Unterschriften für ihr Gewinnspiel sammeln, und die Aktivisten, die sozialistische Zeitungen unters Volk zu bringen versuchen.

Sezen Aksu ist die Übermutter des türkischen Pop. Seit den Achtzigern dessen prägendste Stimme, zieht sie heute auch im Hintergrund die Fäden, dem Nachwuchs wie Tarkan schreibt sie die Hits. Für ihre aktuelle Europatour hat sie sich nun den Saz-Virtuosen Arif Sag als Begleiter ausgesucht, einen Meister der türkischen Langhalslaute. Das ist so, als würde Madonna mit Bob Dylan auf Tour gehen – selbst für türkische Verhältnisse, wo Pop und Folk nicht selten Symbiosen eingehen, klingt die Kombination recht ungewöhnlich.

Arif Sag eröffnet solo das Konzert, im Hintergrund verdoppelt auf der Großbildleinwand. Hingebungsvoll wirft er den Kopf hin und her zu den schwermütigen Weisen, die er aus seiner Saz schrammelt – eine Art John Lee Hooker des anatolischen Blues, der wahrscheinlich melancholischsten Musik der Welt, die wie keine zweite um das Geworfensein in die Welt kreist. Doch er ist nicht allein: Wenn es rhythmischer wird, stimmt das Publikum in ein bekräftigendes Klatschen ein, das in leiseren Momenten aber sogleich wieder abebbt.

Nach einer Pause setzt Sezen Aksu mit großem Orchester, mit Congas und Keyboards einen völlig anderen Akzent. Vor dem Ventilator wirft sie sich in melodramatische Posen, zu einer Art Medley ihres Gesamtwerks. Da fehlt nicht das anatolische Ethnopop-Potpourri aus ihrem Album „Ex Oriente Lux“, das ein Sänger eröffnet, der wie ein armenischer Kantor klingt. Und da fehlen nicht alte Balladen wie „Gülümse“ oder „Sen aglama“, mit denen auch hierzulande ganze Generationen aufgewachsen sind und die kollektive Schauer über die Rücken jagen.

Zuweilen tritt Sezen Aksu einen Schritt zur Seite, als würde sie ihrer eigenen Tribute-Show beiwohnen, lässt ihre drei Backgroundsängerinnen den Gesang übernehmen und sich in einer Art orientalischem Ausdruckstanz versuchen. Oft übernimmt das Publikum die Strophen, die es alle auswendig kann. Und einmal springt urplötzlich Udo Lindenberg, der vor Jahren mit Sezen Aksu ein Stück aufgenommen hat, auf die Bühne: Gemeinsam üben sie den etwas holprigen Vortrag.

Für das Finale mit Arif Sag begibt sich Sezen Aksu am Ende in die Rolle der Saz-Schülerin. Andachtssvoll und ernst, ist ihr Duett vor allem eine Verbeugung vor dem Hergebrachten: eine Geste gegenüber einer Tradition, die in der Türkei längst an Konservatorien zu Hause ist.

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