: Angst vor rechten Kampagnen
Das Antidiskriminierungsgesetz lässt auf sich warten. Nur seine Gegner schaffen Öffentlichkeit für dieses wichtige Vorhaben – die rot-grüne Bundesregierung duckt sich
Ein rot-grünes Symbol steht auf dem Spiel. Eigentlich wollte die Koalition noch kurz vor der Wahl ein Antidiskriminierungsgesetz (ADG) verabschieden. Mit ihm sollte die Benachteiligung von Ausländern, Frauen, Homosexuellen sowie von Behinderten und anderen Gruppen im privaten Rechtsverkehr geächtet werden. Schon seit einem halben Jahr liegt ein entsprechender Gesetzentwurf vor, der auf einer EU-Richtlinie beruht und sogar über diese hinausgeht.
Schöne Aussichten: Verboten wäre dann die Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, im Handel und bei Dienstleistungen sowie bei der Aufnahme in Berufsorganisationen. Deuten Tatsachen auf eine Diskriminierung hin – zum Beispiel der Text in einer Wohnungsannonce –, würde die Beweislast einfach umgekehrt: Nun muss der Vermieter beweisen, dass ihm Nationalität oder sexuelle Orientierung der Bewerber eigentlich egal waren und nur sachliche Gründe seine Auswahl bestimmten. Gelingt ihm dies nicht, hat der Benachteiligte einen Anspruch auf den Vertragsschluss – oder gar auf Schadensersatz.
Ein durchaus emanzipatorisches Projekt also. Die Betroffenen könnten dank des neuen Klagerechts selbst gegen ihre Diskriminierung vorgehen. Zusätzlich würde ein Verbandsklagerecht erlauben, Konflikte zu politisieren. Das Gesetz wäre ein eindeutiges Signal, dass Diskriminierungen in Deutschland nicht geduldet werden.
Doch langsam läuft die Zeit davon, denn der ADG-Gesetzentwurf ist immer noch nicht im Bundestag eingebracht. Die Bundesregierung hat sogar erklärt, das Projekt solle erst nach der Wahl umgesetzt werden. Rechtspolitisch einflussreiche Abgeordnete wie Volker Beck von den Grünen und Ludwig Stiegler von der SPD sehen das zwar anders, doch auch sie können sich auf keinen gemeinsamen Entwurf einigen. Und die laufende Woche ist die einzige Sitzungswoche im Mai – wird das Gesetz auch jetzt nicht eingebracht, kann es aus Zeitgründen vor der Wahl nicht mehr verabschiedet werden. Das Antidiskriminierungs- ist schließlich kein Antiterrorgesetz, das in drei Tagen durchgepeitscht wird.
Diesen Erfolg möchte man den Kritikern eigentlich nicht gönnen. Etwa den Hauseigentümern, die vor einer „Einengung der Freiheit“ warnen und wohl vor allem Angst um den Wert ihrer Wohnungen haben, wenn sich etwa ein abgewiesener Schwarzer künftig in ein „gutbürgerliches“ Mietshaus einklagen könnte. Oder den scheinheiligen Kirchen, die sonst stets betonen, dass wir vor Gott alle gleich sind, und nun auf Erden sicherstellen wollen, dass Vermieter im Namen ihres christlichen Glaubens weiter nach der Religion diskriminieren dürfen.
Andererseits gibt es auch gute Gründe, an dem ehrgeizigen Vorhaben zu zweifeln. So besteht die Gefahr, dass sich der geplante Mechanismus schnell in sein Gegenteil verkehren kann. Männer könnten sich so den Zutritt zu Frauenbuchläden erstreiten. Und ein Deutscher könnte gegen den türkischen Hausbesitzer prozessieren, der Landsleute bevorzugt, weil er mit den Mietern lieber in seiner Muttersprache spricht. Die Betroffenen würden dabei plötzlich vom Subjekt zum Objekt der Antidiskriminierungsklagen.
Im Interesse der Gleichheit aller Menschen mag man das ja begrüßen. Aber fördert es wirklich Integration und Toleranz, wenn jeder Konflikt gleich zum Rechtsstreit werden kann? Werden so nicht Gruppenidentitäten auf beiden Seiten gestärkt, statt sie aufzuweichen?
Und fördert ein solches Gesetz nicht vor allem die Heuchelei in der Gesellschaft? Denn auch seine Befürworter gehen nicht davon aus, dass ein ADG alle Schlupflöcher für Diskriminierungen schließen kann – und soll. So muss ein Hauseigentümer, der eine Einliegerwohnung vermietet, auch weiterhin nach persönlicher Sympathie entscheiden können. Und falls er Schwule generell unsympathisch findet, wird er das künftig eben für sich behalten. Auch bei einer anonymen Wohnungsgenossenschaft dürfte es in der Regel genügen, wenn sie in ihren Annoncen auf Klauseln à la „Suchen deutschen Mieter“ verzichtet. Wo kein Verdacht aufkommt, gilt auch nicht die Umkehr der Beweislast.
Doch aus der Sicht der Betroffenen wäre einiges gewonnen. Denn es stellt einen Klimawandel dar, wenn Diskriminierungen zumindest aus den öffentlichen Geschäftspraktiken verschwinden. Schließlich wirkt gerade die pauschale Ausgrenzung demütigend und ihre öffentliche Akzeptanz entmutigend auf die Diskriminierten.
Dabei sollte auch nicht vergessen werden: Früher oder später wird ein Antidiskriminierungsgesetz ohnehin kommen. Denn die zugrunde liegende EU-Richtlinie ist bis zum nächsten Sommer umzusetzen. Und bis Herbst wird sogar noch eine Regelung für das Arbeitsleben fällig. Die Gegner des Projektes hätten bei einer Verschiebung also allenfalls ein halbes Jahr gewonnen.
Ein halbes Jahr, in dem SPD und Grüne lernen könnten, zu diesem Projekt auch öffentlich zu stehen. Denn bisher hat die Bundesregierung – wohl aus Angst vor einer konservativen Kampagne – möglichst wenig Wind darum gemacht. Wäre es nach Rot-Grün gegangen, hätte man das Gesetz in aller Stille verabschiedet und damit allenfalls ein bisschen bei den eigenen Anhängern geprahlt. Ein beherztes Signal an die Gesellschaft war dabei nicht zu erwarten. Den heutigen Gegnern ist also fast zu danken, dass sie das ADG überhaupt zum öffentlichen Thema gemacht haben.
Bleibt die Frage, ob eine neue Regierung ebenfalls bereit ist, deutlich über die EU-Vorgaben hinauszugehen. So verbietet die EU-Richtlinie für den allgemeinen Geschäftsverkehr nur die Diskriminierung wegen Rasse und ethnischer Herkunft, während Justizministerin Däubler-Gmelin auch Geschlecht, Homosexualität, Behinderung, Alter, Weltanschauung und Religion erfassen wollte.
Viel spricht für eine umfassende Regelung. Sonst entsteht leicht der Eindruck, dass die Gesetzgebung bezüglich der nicht erfassten Merkmale einen Freibrief erteilt. Ein ADG, das etwa antisemitische und antiislamische Ressentiments nicht erfasst, wirkt mehr als halbherzig. Und wenn aus einem mutigen Gesetzentwurf ein Merkmal nach dem anderen gestrichen wird – zuletzt Alter und Weltanschauung, möglicherweise auch noch die Religion –, würde die Signalwirkung verschenkt. Nahe liegender ist sogar eine Ausweitung der Fälle, weil zum Beispiel allein Erziehende und Kinderreiche ignoriert werden, obwohl sie es auf dem Wohnungsmarkt ebenfalls nicht einfach haben.
Glaubwürdig kann der Staat von seinen Bürgern die Nichtdiskriminierung allerdings nur verlangen, wenn er selbst mit gutem Vorbild vorangeht. Und hier ist noch einiges zu tun: angefangen von der steuerlichen Benachteiligung homosexueller Paare bis zur Abschiebung straffälliger Jugendlicher ohne deutschen Pass. Ein Staat, der Minderheiten selbst diskriminiert und dies nur seinen Bürgern verbietet, macht die Heuchelei tatsächlich hoffähig. CHRISTIAN RATH
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