: Lieblingswort „aberwitzig“
Vor kurzem legte Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin ein filmpolitisches Konzept vor, das die Förderung des Kulturguts Film zum Ziel hat. Die anstehende Novelle des Filmförderungsgesetzes böte nun die Chance, Prioritäten neu zu bestimmen
von TOBIAS HERING
„Aberwitzig“ ist ein Lieblingswort von Rolf Bähr, dem Vorsitzenden der Filmförderungsanstalt (FFA). Aberwitzig zum Beispiel sei, dass die Landesfilmförderungen versuchten, über das Kulturprodukt Film Wirtschaftspolitik zu betreiben. Aberwitzig, dass die Länder einen Film als Standortfaktor betrachten, während sich der Bund um das Überleben kommunaler Kinos kümmern müsse. Bähr ist in der Dauerdebatte um den deutschen Film nicht der Einzige, der sich die Haare rauft, und auch seine Anstalt steht in der Kritik. Gerade die FFA vergebe ihre Mittel zu sehr nach Wirtschaftlichkeitskriterien und habe zu selten ein Auge für den kulturellen oder künstlerischen Wert eines Projekts.
Diese Kritik bekam Rückenwind, als Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin vor einem halben Jahr ein filmpolitisches Konzept vorlegte und die Debatte in eine neue Runde schickte. „Die Förderung des Films gilt dem Kulturgut Film“, heißt es dort. Der Satz ist eher als Forderung denn als Feststellung zu lesen. Denn Filme zuerst als Kultur- statt als Wirtschaftsgüter zu betrachten ist längst keine Selbstverständlichkeit. Die anstehende Novelle des Filmförderungsgesetzes (FFG) bietet die Chance, die Prioritäten neu zu bestimmen, die sich in den Verteilungskriterien und Vergaberichtlinien niederschlagen.
„Das Wesen des Films ist janusköpfig“, sagt Klaus Keil von der Filmboard GmbH, der berlin-brandenburgischen Filmförderung. Der Erfolg eines Films habe neben der künstlerischen immer auch eine wirtschaftliche Komponente, die die Förderung berücksichtigen müsse – insbesondere dann, wenn es dabei um Steuergelder gehe. „Kino ist immer ein Risikogeschäft“, sagt Keil und begründet wirtschaftliche Vergabekriterien mit der „notwendigen Professionalisierung der Branche“.
Fast jedes Bundesland leistet sich eine eigene Filmförderung, allerdings mit sehr unterschiedlichen Etats. Gemeinsam tragen sie mit über 60 Prozent den Löwenanteil in der deutschen Filmförderung. Keil sieht darin den Vorteil, dass die Länderförderer einen engeren Kontakt mit den Produzenten und Verleihern halten können, als dies einer zentralen Fördereinrichtung möglich ist. Speziell in Berlin zeige sich allerdings auch ein eklatantes Missverhältnis zwischen dem enormen kreativen Potenzial und den finanziellen Möglichkeiten.
Für den Produzenten eines Films ist es nicht egal, von wem er das Geld bekommt. Denn in der Tat binden die Landesfilmförderungen die Vergabe ihrer Mittel an einen so genannten Regionaleffekt. Das heißt, die Filmproduzenten müssen das von den Ländern bereitgestellte Geld in voller Höhe, oft sogar zu 150 Prozent, wieder in dem betreffenden Bundesland ausgeben. Nicht selten sind sie dadurch gezwungen, die Dreharbeiten dorthin zu verlagern. Dem Etat der Länderstandorte entspricht aber oft keine adäquate Infrastruktur, in die man die Fördergelder vor Ort sinnvoll investieren könnte. Die Folge sind Briefkastenfirmen und Scheinwohnsitze, damit die Rechnungsanschrift stimmt. Maria Köpf von der „X-Filme“-Produktion spricht deshalb aus, was in der Branche je nach Interessenlage mal als frommer Wunsch, mal als Sakrileg behandelt wird: „Im Bereich der Filmförderung müsste es im Grunde einen kulturellen Länderausgleich geben.“
Solange dafür die politische Basis fehlt, sind die länderübergreifenden Mittel der Filmförderungsanstalt doppelt kostbar. Die FFA hat zwei Förderinstrumente: Die Referenzfilmförderung wird streng nach den Kinobesucherzahlen ausgeschüttet. Wer einen Film hergestellt hat, der sich auf dem Markt bewährt, so der Gedanke, soll mit Fördermitteln belohnt werden. Rund drei Viertel aller deutschen Filme scheitern allerdings bereits an der Einstiegsschwelle von 100.000 Zuschauern.
Auch die Projektförderung für noch zu realisierende Filme wird vorwiegend nach Wirtschaftlichkeitskriterien vergeben. „Für wen ist die FFA denn da?“, fragt Peter Rommel, der mit Andreas Dresens „Nachtgestalten“ einen der prägnantesten deutschen Filme der letzten Zeit produziert hat. Seit acht Jahren macht er Kinofilme. Nicht ein einziges Mal habe er dabei Projektmittel von der FFA bekommen. Solange sich die Förderer nicht unabhängiger von Marktprognosen machten, würden mutige Projekte oft am zeitraubenden Vorlauf und der inhaltlichen Gängelung scheitern. Bei ihrem neuen Film „Halbe Treppe“ haben sich Andreas Dresen und er daher entschieden, ohne Fördermittel und Fernsehgelder auszukommen. Anstatt sich diesen „kleinen erfolgreichen Film“ nun nachträglich auf die Fahnen zu schreiben, sollten die Förderer in Zukunft mehr Mut zeigen, solche Projekte von vorneherein mitzutragen.
„Am liebsten würde ich nur ‚Blechtrommeln‘ fördern“, meint Rolf Bähr. Er sieht seine Filmförderungsanstalt in der Pflicht, die Branche mit Handelsware zu versorgen. Als Bundesgesetz sei das Filmförderungsgesetz, die rechtliche Grundlage der FFA, ein Wirtschaftsgesetz. Zudem speise sich der Förderetat allein aus den gesetzlich geregelten Abgaben der Verwertungsmedien, also vor allem der Kinos und Videoverleiher, und aus einem freiwilligen Anteil der Fernsehanstalten. „Ob wir wollen oder nicht“, sagt Bähr, „wir müssen denen ‚Kleines Arschloch‘ und ‚Feuer, Eis und Dosenbier‘ anbieten. Aber das müssen doch die Länder nicht.“
Verschwindet also das Kulturgut Film in einem Fördervakuum? Die FFA darf es nicht und die Länder tun es nicht? Tatsache ist, dass Filme, die es nicht auf möglichst breite Publikumsakzeptanz abgesehen haben, durch die derzeitige Vergabepraxis benachteiligt werden. Dies wird noch verstärkt durch den Strukturwandel in der Kinolandschaft. Mittlerweile werden fast 50 Prozent der Besucherzahlen in Multiplexkinos erspielt. Was die Verleiher als nicht Multiplex-tauglich einstufen, wird mit dem Label „Arthouse-Film“ versehen und in die kleinen Säle verwiesen. So entsteht ein ganzes Segment von Filmen, die nur ein begrenztes Publikum erreichen können und demzufolge bei der Referenzmittel-Ausschüttung schlecht dastehen. Gerade in diesem Segment finden sich die interessanteren deutschen Filme, wie etwa die Bundesfilmpreisträger „Die innere Sicherheit“ und „Die Unberührbare“. Solche Filme durch qualitative Kriterien bei der Referenzmittelvergabe oder die Einrichtung eines Fonds zu fördern, wäre also nicht etwa eine „marktverzerrende Subventionierung“, wie die Fans der freien Marktwirtschaft schimpfen, sondern geradezu eine Entzerrung des Bildes, das die deutsche Filmlandschaft unter dem Druck des Marktes abgibt.
Mit seiner Anregung, die so genannten unabhängigen Filmproduzenten zu stärken, hat Nida-Rümelin in ein Wespennest gestochen. Als unabhängig gelten diejenigen, die nicht an einen Fernsehsender oder einen Medienkonzern gebunden sind. Regina Ziegler, die Grande Dame der deutschen Produzentenschaft, macht sich jedoch nichts vor: „Ohne das Fernsehen könnte in Deutschland kaum ein Produzent überleben.“ Die Tendenz, sich großen Konzernen anzuschließen, verweise auf ein Grundproblem der Produzenten: Die Kapitaldecke sei zu dünn und die rechtliche Position gegenüber den Verwertungsmedien immer noch zu schwach. Viele Produzenten haben gelernt, ihren Frust hinunterzuschlucken. Wer beißt schon die Hand, die einen füttert?
Aber die Produzenten stehen nicht nur mit den Fernsehanstalten, Verleihern und Förderern, von denen sie abhängig sind, in einem Interessenkonflikt. Auch innerhalb der Produzentenschaft zeichnet sich eine Lagerbildung ab. „Im Allgemeinen funktioniert das System ganz gut“, sagte Martin Moszkowicz vom Produktions- und Verleihriesen Constantin kürzlich bei der Referenzmittelvergabe – „wenn man einmal drin ist.“ Für Martin Hagemann und Thomas Kufus von der Berliner Zero-Film darf es deswegen nicht nur um die Summe gehen, sondern vor allem um deren Verteilung. Die von Nida-Rümelin angeregte „kriteriengestützte Referenzmittelvergabe“ sei nur zu begrüßen. Es sei längst überfällig, dass auch die Festivalteilnahme eines Films oder der Auslandserfolg bei der Bewertung berücksichtigt würden. „Man muss einfach dazu stehen, dass der Markt alleine es nicht regelt. Das setzt allerdings einen klaren politischen Willen voraus: ob man will, dass die Leute nur konsumieren oder ob sie auch zu kritischem Denken angeregt werden sollen.“ Solange sich der Mut zu einer solchen Entscheidung nicht auch in den Förderkriterien niederschlage, gelte bei Zero-Film: Nomen est omen. „Wir fangen mit jedem Film praktisch wieder bei null an.“ Das ist Galgenhumor. Vielen vergeht das Lachen, wenn man jahrelang Filme produziert, deren ideeller Gegenwert zwar dankend zur Kenntnis genommen wird, aber kaum Geld einbringt. Auch Zero-Film hat mit Filmen wie „Viehjud Levi“ und „Black Box BRD“ in den letzten Jahren Mut und Qualität bewiesen. Dank einer niedrigeren Zugangsschwelle für Dokumentarfilme ist es mit „Black Box BRD“ nun erstmals gelungen, an den Referenzmitteltopf zu kommen.
Über dem plakativen Gegensatz von Kunst und Kommerz darf man also nicht übersehen, dass es den Produzenten ja gerade um die Bedingungen ihrer wirtschaftlichen Existenz geht und nicht um die Glorifizierung des Nischenfilms. Wenn die Forderung der Wirtschaftlichkeit aber nur an das Produkt gestellt wird, dann ist ein Film umso förderungswürdiger, je mehr er sich dem Mainstream anbiedert. Die Produzenten weisen dagegen zu Recht darauf hin, dass gerade die Filme, die bei der Zuschauergunst im Mittelfeld landen, die wirtschaftlichsten seien. Wäre es nicht selbstverständlich, bei der Bewertung des „wirtschaftlichen Erfolgs“ die Zuschauerzahlen mit dem Budget des Films und dem Werbeetat in Relation zu setzen? Viele der vermeintlich schwierigen Filme stehen dann nämlich besser da als die angeblichen Blockbuster.
Mut zum Risiko meint beides: die Bereitschaft, in einen Film zu investieren, und den Mut, mit einem Film inhaltlich und ästhetisch Neuland zu betreten. Solange das künstlerische Innovationsrisiko von den Fördereinrichtungen vor allem als wirtschaftliches Risiko evaluiert wird, läuft man immer gegen die gleiche Wand.
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