: Selber bauen gestrichen
Der rot-rote Senat hat das einzigartige Programm Wohnungspolitische Selbsthilfe abgeschafft. 19 Bewohnergruppen, die ihr Haus in Eigenregie sanieren wollen, stehen vor dem Aus
von BENJAMIN DIERKS
Hausbesetzungen sind kein großes Thema mehr in Berlin. Ehemalige Besetzer sind heute Mieter, die meisten Häuser legalisiert. Die Szene ist befriedet. Doch mit der Ruhe könnte es bald vorbei sein. Ausgerechnet der rot-rote Senat kippte im Haushaltsjahr 2002/2003 das Programm der wohnungspolitischen Selbsthilfe, mit der seit 20 Jahren die Sanierung baufälliger Häuser in Gemeinschaftsbesitz ermöglicht wird.
Das Anfang der Achtzigerjahre entstandenen Selbsthilfeförderprogramm des Senats sollte ursprünglich vor allem legalisierten Besetzergruppen die Sanierung ihrer Häuser ermöglichen. Der beabsichtigte Nebeneffekt: Die Besetzer wurden durch den eigenen Arbeitseinsatz von politischen Aktivitäten abgehalten – die Szene befriedet. Im Laufe der Jahre überwogen zwar normale Mietergemeinschaften unter den Fördernehmern, doch noch immer gibt es ehemalige Besetzergruppen, die sich durch die Förderung eine gesicherte Wohnsituation schaffen möchten. Etwa in der Kreutzigerstraße in Friedrichshain.
Anfang der Neunzigerjahre war fast die gesamte Straße besetzt. Die Bewohner der Hausnummer 22 konnten Dank Förderung ihr Haus bereits sanieren, in der 23 ackert man derzeit fleißig. Doch die Bewohner der 18/19 stehen nun auf dem Schlauch. Zwar gelang es ihnen im vergangenen Jahr, den Eigentümer davon zu überzeugen, das Haus nicht auf dem Immobilienmarkt anzubieten, sondern es an die Selbstverwaltete Ostberliner GenossInnenschaft e. G. (SOG) zu verkaufen, die 1995 eigens für die Legalisierung besetzter Häuser gegründet wurde. Das Finanzierungskonzept stand. Doch im April schrieb die Bauverwaltung an die SOG: Der Antrag auf Selbsthilfeförderung könne nicht berücksichtigt werden.
Bei den Bewohnern trifft die Absage auf Unverständnis. „Nach dem Wahlsieg von Rot-Rot hatten wir eigentlich eine Erweiterung des Programms erwartet“, so Andreas Beier von der SOG, „und nun werden ausgerechnet der ursprünglichen Zielgruppe die Füße weggehauen“.
Sauer ist man vor allem über die Wendehalspolitik von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD). Im vergangenen Jahr noch hatte er die Unverzichtbarkeit der Selbsthilfeförderung hervorgehoben. Auf der Bauausschusssitzung am 8. Mai erklärte Strieder, sie werde im kommenden Haushalt ausgesetzt. Damit setzte er die Koalitionsvereinbarungen mit der PDS praktisch außer Kraft. Die Förderung sei zu einem „Eigenheimprogramm für Besetzer“ geworden, bemerkte der Senator lapidar.
„Das ist absolute Demagogie“, schimpft Barbara Oesterheld, baupolitische Sprecherin der Grünen. Sie will nun das benötigte Geld aus einem anderen Haushaltstitel holen. 19 Projekte, die bereits einen Antrag auf Förderung gestellt haben, sind bedroht. Eine Alternative gäbe es in so strukturierter Form nicht, erklärte Fabian Tacke vom Arbeitskreis Berliner Selbsthilfeprojekte im Altbau e. V. (AKS). Es sei absolut unverständlich, warum das Quartiersmanagement gefördert würde, aber Gruppen, die das Quartier durch ihre Arbeit direkt bereichern, der Garaus gemacht werde.
Die Häuserszene hat entschiedenen Protest angemeldet. „Das ist etwas, was wir nicht verlernt haben“, warnt Andreas Beier. „Wer ein Befriedungsprogramm kippt, muss damit rechnen, dass es weniger friedlich wird.“ Das weiß man selbst in der Bauverwaltung. „Das wird erfahrunsgemäß eskalieren“, meint der dort für das Programm zuständige Mitarbeiter. Denn die Hauseigentümer würden nun auf ihre wirtschaftlichen Interessen pochen und dann nicht an die Bewohner verkaufen.
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