: Die Schläfer im Regen
Der Verein „El Patio“ wollte dem Karneval der Kulturen politischen Pfiff geben. Das klappte nicht, was den Teilnehmern letztlich egal war. Durch ein Überholmanöver rollte ihr Wagen als erster ins Ziel
von ANTJE LANG-LENDORFF
Sieben Schläfer waren auf dem Karnevalsumzug der Kulturen, und niemand hat es bemerkt. Dabei wollten sie sich sehr wohl zu erkennen geben. Im musikalischen Windschatten des Sambawagens Bloco Explosao schoben sie ein rollendes Bett vom Hermannplatz bis zur Yorckstraße. Die Menschen winkten, lachten, grüßten. Die Kinder freuten sich über die flockigen weißen Federn, die die Schläfer unter die Menge streuten. Sie hinterließen eine weiße Spur auf schwarzem Asphalt, aber keinen bleibenden Eindruck bei den Zuschauern am Straßenrand. Denn die begriffen nicht, wem sie da eigentlich applaudierten.
Bei den merkwürdigen Karnevalisten handelte es sich nicht um Muslime, sondern um Spanier, Lateinamerikaner und hispanophile Deutsche von „El Patio“, dem spanisch- und portugiesischsprachigen Kulturzentrum in Moabit. Einfach nur Folklore machen, das fanden sie zu langweilig. Sie wollten dem Karneval politischen Pfiff geben. Deswegen entschied sich das Team der „unverbesserlichen Weltverbesserer“, wie Felipe Orobón aus Madrid sich und die Gruppe bezeichnet, für schlafende Terroristen als ihr diesjähriges Motto.
„Seit dem 11. September gibt es in Deutschland eine Paranoia gegenüber Ausländern mit arabischen Aussehen“, erklärt Orobón das Anliegen der Gruppe. Auch Lateinamerikaner bekämen das aufgrund ihres ähnlichen Äußeren zu spüren. „Die Bürgerrechte werden uns genommen, und wir verschlafen es einfach“, ereifert sich der Spanier, der seit über zwölf Jahren in Berlin lebt. Er meint, der Umzug sei ein geeigneter Ort, um das zu artikulieren. Zu heikel oder ernst findet er das Thema nicht. Man müsse schließlich alles mit Humor nehmen.
Bei der Umsetzung bewiesen die sozialkritischen Karnevalisten bemerkenswerte Spontaneität. Zwei Tage vor dem Umzug kauften sie für ein paar Euro chinesische Nachthemden, Hausschlappen und weiße Hauben. Am Samstagabend montierten sie zwei Tische auf vier Einkaufswagen, banden eine Matte obendrauf und brachten eine Art Kopfende an – fertig war das rollende Doppelbett. Ein Wecker baumelte schicksalsträchtig an einem der Pfosten.
Die etwas lichten Reihen der Zuschauer, die trotz Nieselregen am Straßenrand standen, waren von so viel Improvisationstalent sichtlich beeindruckt. Sie lachten und fotografierten, während die sieben haubentragenden Schläfer das Bett schoben, darauf tanzten und vor Nässe triefende Stofftiere wie Siegestrophäen in den Himmel streckten.
Nur eines hatten sie bei den kurzfristigen Vorbereitungen wirklich verpennt: Ein Schild mit der Aufschrift „Die Schläfer“ sollte eigentlich über dem Kopfende prangen. In der Eile des Samstagsabends hatten sie es vergessen. Kein Wunder, dass die Zuschauer das Gefährt arglos beäugten. Ein Passant erkundigte sich interessiert, ob El Patio wohl ein Bettenladen sei.
Seit sieben Jahren, solange es den Karneval der Kulturen gibt, nimmt der Moabiter Verein daran teil. Schon mehrfach kam es dabei zu Missverständnissen. Einmal hatten die Karnevalisten das Thema Scheinehen aufgegriffen. Sie verkleideten sich als Brautpaare, prächtig ausstaffiert mit Federn auf den Köpfen. Auf ein Plakat zeichneten sie den deutschen Pass mit dem Adler darauf und trugen es durch die Straßen. Die Leute vermuteten damals, sie seien vom Tierschutzverein.
Das ihre Message auch dieses Jahr nicht ankam, störte die El-Patio-Schläfer nicht. Hauptsache, sie hatten ihren Spaß und die Zuschauer auch. Echte Schläfer werden schließlich auch nicht bemerkt. Zusammen mit barfüßigen Hippie-Mädchen, knapp bekleideten Transvestiten und betrunkenen Passanten vergnügten sie sich zumindest die ersten zwei Stunden des Umzugs. Dann war der Dauerregen doch hartnäckiger als ihre gute Laune.
„Jedes Jahr hole ich mir auf dem Karneval eine Erkältung“, schimpfte Luz Rodriguez, die von den Kanarischen Inseln stammt. „Herrje, ich sehe aus wie ein gerupftes Huhn!“ Ganz daneben lag sie damit nicht. Vor lauter Kälte hatte sie an den nackten Beinen und Armen eine Gänsehaut. Die Federn, die sie vom Wagen warf, blieben nass und fisselig an ihr kleben.
Irgendwann hatte das El-Patio-Team genug von dem feuchten Spektakel. „Wir überholen“, beschloss Orobón und dirigierte Bett und Schläfer am Sambawagen vorbei. Sie ließen Bolivianer hinter sich, die statt an Panflöten bereits an Bratwürsten kauten und überholten chinesische Kriegskünstler. Obwohl die vermeintlichen Terroristen als Elfte gestartet waren, rollten sie schließlich als Erste über die Ziellinie an der Yorckstraße.
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