: Ganz entspannte Sozialkritik
Endlich mehrheitsfähig geworden: In Jamaica gilt Peter-Paul Zahl als „one of us“. Der neue Roman des ehemaligen Apo-Aktivisten und Gefängnisinsassen aber spielt in Köln: „Der Domraub“
von CARSTEN WÜRMANN
Zuerst das Foto, aber wo posieren? „Fotografier mich am besten vor dem Plakat mit den Dinosauriern!“ Die Assoziationen überschlagen sich: Relikt einer vergangenen Epoche? Vertreter einer längst ausgestorbenen Spezies? Ein Fossil? Sehr witzig, Peter-Paul Zahl! Versteinert wirkt er nicht, im Gesicht etwas verwittert, die Haare grau, aber schlank und sehnig, äußerst lebendig. Wie er sonnengebräunt in Jeanshemd und geflickter Hose im Sessel hinter einer Schale Kaffee und den Zigaretten sitzt, erinnert er eher an einen alternden Freibeuter als an den Großvater, der er dieses Jahr wird.
Ich treffe Zahl in seiner alten Wohngemeinschaft in der Berliner Leibnizstraße am biografisch bedeutsamen Ort: Diese Adresse steht in seinen Entlassungspapieren aus dem Gefängnis vom 13. 12. 1982, abgedruckt zu finden in einem Essay von Zahl über Heimat. Auf der folgenden Seite die Einbürgerungsurkunde von Jamaika, 1995. Nach Deutschland kommt er nur noch sporadisch: Familie und Freunde besuchen, zum „Gesundheitscheck“ oder zum Geldverdienen, wie jetzt zur Präsentation seines neuen Romans.
„Was willst du fragen?“ – „Na ja, zu Berlin und Deutschland, Jamaika, Literatur und Kriminalroman, zu reichen und mageren Jahren …“ Zum Leben des Schriftstellers, ehemaligen Druckers, Apo-Aktivisten und langjährigen Gefängnisinsassen Peter-Paul Zahl eben.
„Und dann kein Aufnahmegerät. Ich rede schnell …“ – und er erzählt viel, ausführlich, ausufernd. Er schwärmt für mäandernde Erzählweisen: „Es kann schön sein, nicht zum Punkt, sondern stattdessen vom Hölzchen aufs Stöckchen zu kommen. Das Prinzip habe ich im Gefängnis kennen gelernt.“ Wenn sich die Gefangenen gegenseitig ihr Leben erzählen, kommen dabei erstaunliche Geschichten zum Vorschein. In seinem Fall eine wunderschöne Kindheit in Mecklenburg, eine Jugend in der autoritären und abweisenden Klassengesellschaft Westdeutschlands, dann Aufbruch und Rebellion im Westberlin der 60er-Jahre, Deutschland in den 70ern: außerparlamentarisches Engagement, Verfolgung und Verhaftung.
1972 verletzt Zahl bei einem Schusswechsel mit der Polizei einen Beamten lebensgefährlich. Zunächst zu vier Jahren, wird er 1976 nach Revision der Staatsanwaltschaft zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt.
Die zahlreichen Proteste gegen die offensichtlich politische Motivation des Urteils helfen wenig, 1982 wird er nach zehn Jahren, der längere Teil in Einzelhaft unter verschärften Bedingungen, auf Bewährung entlassen. Während all der Jahre schreibt Zahl, deshalb und trotzdem: Romane, Erzählungen, Lyrik, auch Essays und Stücke. Sein bisher größter Erfolg: „Die Glücklichen“ von 1979, ein Schelmenroman um eine Kreuzberger Ganovenfamilie; kaleidoskopartig schildert er die Erfahrungen und Utopien der libertären Linken der 60er- und 70er-Jahre. Sozialromantisch und schön.
Hieran knüpft Zahl zeitlich wie stilistisch mit seinem neuen Roman an. Im „Domraub“ bildet der Lebensbericht seines Freundes und Mitgefangenen Ljubo Ernst die Grundlage für die Geschichte des Kunstdiebes und Lebenskünstlers Vladimir Heiter, der durch unglückliche Umstände und die Ränke der Staatsgewalt schließlich für den Diebstahl und die brachiale Zerstörung des Kölner Domschatzes büßen muss. „Ein Verbrechen, das er als Kunstfreund niemals so begangen hätte!“
Fakten und Fiktionen im Interesse einer höheren Wahrheit verweben, darum geht es Zahl, und dabei scheren ihn E+U-Kategorien wenig. In 14 Krimis will er die Alltagswirklichkeit Jamaikas und ihre tief greifenden Veränderungen schildern. Vier der Romane um den Detektiv Fraser sind bereits beim Verlag Neues Berlin erschienen. Ausführlich beschreibt Zahl Land und Leute und lässt keine Gelegenheit aus, Sozialkritik einzuflechten.
Zu wenig Action lautete ein Vorwurf nach dem ersten Band. Zahl begegnete ihm mit noch weniger Action: „Ich will das Ganze noch entspannter, noch jamaikaartiger.“
Ein weißer Zugezogener, der mit dem Anspruch gesellschaftlicher Authentizität Krimis um einen schwarzen, einheimischen Detektiv schreibt? Sein jamaikanischer Verleger zumindest findet sein Land in Zahls Büchern wieder. Zwei Bücher sind bereits ins Englische übersetzt, die Dialoge im einheimischen Dialekt. Sobald die Finanzierung steht, wird gedruckt.
Damit ist Zahl auch literarisch auf Jamaika angekommen. Seit 1985 lebt er dort in Long Bay direkt am Meer, hat Haus und Familie. Neben seiner Schriftstellerei vermietet er ein Ferienhaus mit Halbpension, engagiert sich in Bürgerinitiativen, gerade führt er einen Musterprozess gegen die überhöhten Gebühren der Telefongesellschaft. Ein kritischer Staatsbürger, der bei aller Begeisterung für die neue Heimat nicht blind ist für die Schattenseiten seines Paradieses: Die Lektorin seines „Länderführers Jamaika“ musste seine Ausführungen umfassend entschärfen. Ihre Begründung: Das Publikum vertrage nur noch kleine Dosen von Kritik.
Zahl und Jamaika: Da haben sich anscheinend zwei gefunden. Hier, wo überstandenes Leid zum Titel des sufferer qualifiziert, der als one of us anerkannt wird, fühlt Zahl sich zugehörig. Wo der Aufstand gegen die Herrschenden Bestandteil des nationalen Erbes ist, wird Rebellion zur nationalen Tugend. „Hier bin ich mit meinen Einstellungen mehrheitsfähig geworden. Bei den letzten großen Unruhen war die Insel drei Tage völlig blockiert und 69 Prozent der Bevölkerung fanden den Aufstand richtig und haben sich zum Teil selbst daran beteiligt.“
Ein Traum von der Kommune. Wie Zahls Detektiv Fraser. Unabhängig im Dienst einer höheren Gerechtigkeit, bei Alkohol, Marihuana und gutem Essen und mit zahlreichen Frauen in einträchtiger Harmonie. Mit ihm möchte Zahl auf Lesereise gehen durch die jamaikanischen Diasporagemeinden in den USA. Von Ost nach West über die Highways bis San Francisco. Nur gut, dass das Einreiseverbot aus Apo-Tagen wegen Fälschens von Papieren für US-Deserteure inzwischen aufgehoben wurde.
Peter-Paul Zahl: „Der Domraub“.DTV, München 2002, 320 Seiten, 15 €
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