Trotz Motivationstrainer: Langsam und leise unterspült

■ Im Oldenburgischen Staatstheater wurde „Die Nacht des schlaflosen Kellners“ uraufgeführt. Autor Gerhard Ortinau macht aus einem authentischen Krankheitsbericht ein surreales Szenario. Regisseur Daniel Ries bringt das Kammerspiel auf Breitwandformat

„Ich bin nicht stark im Vergessen.“ Was für ein Satz! Zunächst einmal sagt ihn Julia, die Frau des Unternehmers Robert. Und zwar in „Die Nacht des schlaflosen Kellners“, einem Stück des 1953 in Rumänien geborenen Autors Gerhard Ortinau, das vergangenen Freitag im Spielraum des Oldenburgischen Staatstheaters seine Uraufführung erlebte.

„Ich bin nicht stark im Vergessen.“ Das sagt sich, das sagt auch sie so einfach dahin. Als würde sie sagen: „Ich fahr nicht so gern Auto“. Dennoch spricht aus diesem Satz ein Drängen. Etwas treibt die Figuren in Ortinaus Texten um. Ortinau hat ein geradezu forensisches Interesse an Krankheitsgeschichten. Wie passt das, was man landläufig als „krank“, „ungewöhnlich“ oder „unnormal“ bezeichnet, sich ein in die Biografie von Menschen? Und wie strukturiert es das Verhältnis zu anderen?

Eigentlich müssten Robert und Julia glücklich sein. Eben haben sie ein neues Haus bezogen. Sie haben jetzt acht Zimmer statt anderthalb, sie haben den direkten Blick auf das Meer, das Julia so liebt. Aber etwas nagt an der Idylle, so wie die Wellen, die langsam und leise an den Strand klatschen, diesen doch unterspülen können. Es war vor sieben Jahren, erfahren wir, fast auf den Tag genau vor sieben Jahren – da brannte das alte Haus ab. Ein Unfall, sagten die Leute, ein banaler Kabelbrand im kaputten Bügeleisen. Die Versicherung bezahlte anstandslos.

So weit, so gut. Wäre da nicht ein Zweifel. Leise, fressend macht er sich breit in der Gefühlswelt von Julia. „Lies nicht immer diese russischen Gedichte“, sagt Robert. Und: „Nimm die Tabletten.“ Damit ist das Thema für ihn gegessen, und er wendet sich wieder seiner Arbeit zu. „Ich höre, was du sagst, Worte... nichts als Worte!“ Darauf sie: „Das ist kein Gedanke, das ist ein Gefühl.“ Wenn's Robert zu stressig wird, ist da noch Charly, sein Motivationstrainer.

Behutsam und nicht ohne Witz (der einem manchmal schwer durch die Kehle kommt) nähert sich Ortinaus Text Julias Schuldgefühlen. Sie glaubt, sie habe doch irgendwie... nun ja: nachgeholfen. Mittlerweile ist sie tabletten- und alkoholabhängig. In ihrer Wahrnehmung – oder ist es doch die Realität? – baut sich Groteskes auf. Sie wird zusehends wehrloser.

Da ist ein mysteriöser Schwimmer, an den sie sich in paradoxer Hoffnung klammert. Da ist die Journalistin Nina, die zur Ärztin wird und sie ruhig stellt. Da ist der Kellner mit dem riesenhaften Ohr, der schlaflos durch die Gegend irrt. Er hat sie bedient, damals, als das Haus brannte. Und Julia hatte sich eigentlich von Robert trennen wollen.

Wie schon in seinem Prosatext „Ein leichter Tod“ geht der Autor von einem authentischen Bericht aus, transformiert diesen aber mittels einer knappen, präzisen und zugleich hoch poetischen Sprache zu einer Art surrealem Szenario. In den besten Momenten erinnert die Inszenierung des jungen Daniel Ris an die abgedrehten, dabei so banal-klaustrophobischen Momente in David Lynchs „Twin Peaks“.

Das Geschehen spielt sich auf einem hohen Podest ab. Breitwandformat. So nimmt Ris die Hollywood-Abräumer in Sachen Schizophrenie mit hinein, „Fight Club“ und „A Beautiful Mind“. Lässt Ortinaus Text aber seine kammerspielartige Intimität.

In der soliden Leistung des fünfköpfigen Ensembles besticht Bettina Römer als Julia. Es gelingt ihr, diese tragische Figur ganz nah an uns Zusehende heran zu rücken, und macht so die Haltlosigkeit und Sprunghaftigkeit Julias, den pausenlosen Wechsel von Wach- und Traumzuständen, von Panik und Ruhe spürbar.

Tim Schomacker

Nächste Vorstellungen: 22., 23., 25. Mai, sowie 1., 7., 8., 11. und 13. Juni. Karten unter Telefon 0441 - 22 25 111