: Die Bank am Alexanderplatz in der Krise
Auch in diesem Jahr wird die Bankgesellschaft rote Zahlen schreiben. Der Konzern kündigt Schließung von 45 Filialen an
Der Raum im 7. Stock regt zum Träumen an: Wer aus den mit hellen Leinentüchern abgedunkelten Fenstern schaut, kann den Blick über den Alex schweifen lassen, Springbrunnen, schnorrende Punker und Würstchenverkäufer in der Ferne ahnend. Und drinnen, im Konferenzsaal der Bankgesellschaft, ein Kunstwerk, das für sich spricht. Auf einer rund drei Quadratmeter großen gelben Metallplatte hat der Künstler Rémy Zaugg mit weißen Buchstaben einen Spruch gepinselt, der irgendwie immer passt, aber an diesem Tage ganz besonders: „Und würde mir, sobald ich denke, die Welt entfremdet.“
Vorn im Raum, hinter diversen Mikrofonen verbarrikadiert, präsentiert Hans-Jörg Vetter die Zahlen seiner Welt, über die seit Ende des vergangenen Jahres herrscht. Ernüchternde Zahlen. Abgesehen vom Immobiliendesaster hat die mehrheitlich landeseigene Bank im Jahr 2001 einen enormen Verlust im operativen Geschäft eingefahren: 632 Millionen Euro. Nur dank der Auflösung von Rückstellungen für Immobilienrisiken, die das Land Berlin übernommen hat, konnte der Verlust in der Bilanz auf 112 Millionen Euro gedrückt werden. „Wir haben erhebliche Probleme im operativen Geschäft“, räumte Vetter bei der gestrigen Vorstellung der Bankbilanz ein. So habe die Bank durch die Krise Kunden und Einlagen in Höhe von rund 3 Prozent verloren. „Das ist ärgerlich.“
Insgesamt wurde im vergangenen Jahr nur durch die Risiko-Abschirmung bei Alt-Immobiliengeschäften ein Verlust von bis zu 2 Milliarden Euro vermieden. Vetter: „Der Konzern hätte unter diesen Vorzeichen allein nicht fortbestehen können.“ Mehrfach dankt der Konzernchef denn auch dem Abgeordnetenhaus, das mit seiner Entscheidung zur Risikoabschirmung den Erhalt des Konzerns gesichert habe. Ab 2003 stellt Berlin jährlich 300 Millionen Euro für die Immobilienrisiken der Bank zur Verfügung; Experten rechnen mit Kosten von 3 bis 10 Milliarden Euro in den nächsten 30 Jahren.
In Zukunft will die Bank, die ihren Mitarbeitern 7- bis 8-prozentige Gehaltskürzungen zumutet, kleinere Brötchen backen. Man habe ein solides, vernünftiges Geschäft in der Kernregion Berlin-Brandenburg im Blick, so Vetter. Künftig will sich die Bank, die 1994 als Berliner Konkurrenz zu den deutschen Großbanken gestartet war, auf das regionale Privat- und Firmenkundengeschäft sowie auf ausgewählte Kapitalmarkt- und Immobiliengeschäfte konzentrieren. Im Immobilienbereich will die Bank den Fokus auf gewerbliche Investoren richten; das risikoreichere Geschäft mit Bauträgern, Management- und Betreiberimmobilien wird nicht mehr finanziert. Solche Geschäfte hatten zur Schieflage der Bank beigetragen, die vergangenes Jahr nur vor der Pleite bewahrt wurde, weil sie beim Land Berlin eine Finanzspritze von rund 1,75 Milliarden Euro schnorrte.
Die neue Strategie des Konzerns werden auch die Kunden von Sparkasse und Berliner Bank, die zum Bankgesellschaftskonzern gehören, direkt zu spüren bekommen. Um Kosten zu sparen, will die Bankgesellschaft 45 ihrer 260 Filialen schließen. Der gewünschte Effekt wird sich allerdings nicht so schnell einstellen. Auch in diesem Jahr wird die Bank wieder rote Zahlen schreiben. Vetter: „Die Bankgesellschaft befindet sich noch mitten in der Sanierung, ja praktisch erst am Anfang.“ Nach einer ungewöhnlich langen Bilanzpräsentation – zwei Stunden und fünfzehn Minuten Zahlen über Zahlen, die eine Welt entfremden – verlassen Vetter und seine Vorstandsriege den Saal. Das Werk des Rémy Zaugg bleibt.
RICHARD ROTHER
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