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Die Zeitbombe in Raus Schublade

Zwei Monate nach der umstrittenen Bundesratsabstimmung zum Zuwanderungsgesetz wächst der Druck auf Bundespräsident Johannes Rau, zu entscheiden, ob er das Gesetz unterschreibt. Regierung und Opposition drängen auf baldige Klarheit

von LUKAS WALLRAFF

Auf die Frage von Journalisten, ob die verunsicherten Wahlkämpfer der SPD vor der Bundestagswahl noch mit positiven Überraschungen rechnen dürften, sagte Generalsekretär Franz Müntefering vor kurzem: „Es sind keine Kaninchen im Hut.“ Von möglichen negativen Überraschungen sprach er nicht. Für die könnte ausgerechnet ein Parteifreund sorgen: Bundespräsident Johannes Rau. In seiner Schublade tickt eine Zeitbombe: das Zuwanderungsgesetz.

Fast zwei Monate nach der umstrittenen Bundesratsabstimmung wächst der Druck auf Rau, eine Entscheidung zu treffen, ob er das Gesetz unterschreibt, das im März nur mit knapper Mehrheit zustande kam. Aus Kreisen, die dem Präsidenten nahe stehen, verlautete gestern, mit einer Entscheidung sei „vor der Wahl“ zu rechnen.

Die Ausgangslage ist klar: Rot-Grün hofft auf Raus Unterschrift, damit das Gesetz am 1. Januar 2003 in Kraft treten kann. Die CDU/CSU verlangt ein klares Nein, weil es die Stimmabgabe Brandenburgs im Bundesrat für verfassungswidrig hält. Für den Fall, dass Rau unterschreibt, hat die Union angekündigt, in Karlsruhe zu klagen. Beide Seiten betonten gestern, dass sie schnell Klarheit haben möchten.

„Wenn er keine Bedenken hätte, hätte er doch schon längst unterschrieben“, sagte Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach der taz. Sollte Rau länger als bis September prüfen, so Bosbach, „dann wird es nicht an der verfassungsrechtlich komplizierten Lage liegen, sondern an der parteipolitisch komplizierten Lage für Rot-Grün.“ Soll heißen: Egal wie Rau entscheidet, wird es für die Bundesregierung schwierig. Falls er unterschreibt, „werden wir auf jeden Fall klagen“. Falls er nicht unterschreibt, wäre es noch peinlicher für Rot-Grün. „Ich beneide ihn nicht um dieses Dilemma“, so Bosbach über Rau.

Die Unterstellung, der Bundespräsident verzögere das Gesetz absichtlich, bestreitet Raus Sprecher vehement: „Der Bundespräsident prüft mit der gebotenen Sorgfalt, er wird es nicht aus irgendwelchen sachfremden Gründen verzögern.“ Rau lasse sich aber „nicht unter Zeitdruck setzen“. Doch auch in der SPD wird man inzwischen ungeduldig. „Die Zeit müsste langsam reichen“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Veit der taz. Er wünscht sich, dass Rau das Gesetz „noch vor der Sommerpause“ unterzeichnet. Es gebe „keinen Grund, warum er es nicht unterschreiben sollte“. Die Abstimmung im Bundesrat sei einwandfrei verlaufen. Die Union habe gewusst, dass Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) auf die Nachfrage des Bundesratspräsidenten nochmals mit Nein hätte antworten müssen, um das Gesetz zu verhindern. Er selbst sei „zufälligerweise direkt neben dran gestanden“, als Kanzlerkandidat Stoiber kurz vor der Abstimmung versucht habe, „genau das bei Schönbohm zu erreichen“.

Nun muss Rau entscheiden, ob er das Abstimmungsergebnis anerkennt. Oder er wählt einen eleganten Ausweg wie 1994 sein Vorgänger Roman Herzog (CDU). Als es um eine Neufassung des Atomgesetzes ging, unterschrieb Herzog das Gesetz, äußerte aber in einer offiziellen Mitteilung seine Bedenken: „Es ist nicht Aufgabe des Bundespräsidenten, sondern des Bundesverfassungsgerichts, über solche verfassungsrechtlichen Zweifelsfragen eine endgültige Entscheidung zu treffen.“

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