: „Je schneller, desto besser!“
Interview ERIC CHAUVISTRÉ und BERND PICKERT
taz: Kurz nach dem 11. September waren die Beziehungen zwischen den USA und Europa so gut wie selten. Heute zeigt sich selbst die deutsche Regierung, die „uneingeschränkte Solidarität“ zusicherte, besorgt über die Richtung der US-Politik. Was ist da schief gegangen?
Woolsey: Die Antwort der USA richtete sich zunächst präzise gegen die Organisation, die uns am 11. September angegriffen hatte. Das haben die Menschen verstanden und uns dankenswerterweise unterstützt. Aber das hier ist kein Krieg nur gegen eine bestimmte Terroristengruppe. Eine Reihe von Beobachtern haben das bereits den Vierten Weltkrieg genannt – der Dritte war der Kalte Krieg. Die Bezeichnung stimmt. Wir haben es mit drei ideologischen Bewegungen im Nahen Osten zu tun, die dem Westen, der Demokratie und dem Anstand den Krieg erklärt haben: Erstens die extremistischen Schiiten, die im Iran an der Macht sind. Die zweite Gruppe sind die Faschisten, was die akkurate Bezeichnung für die irakische Baath-Partei ist. Die dritte und jüngste Gruppe, die für Angriffe nicht nur auf US-Amerikaner, sondern auch auf Deutsche in Nordafrika, Franzosen in Pakistan usw. verantwortlich ist, ist die sunnitische Bewegung, deren bestorganisiertes Instrument sicherlich heute al-Quaida ist.
Warum schätzen denn Ihrer Meinung nach Europäer und US-Amerikaner diese Bedrohung so unterschiedlich ein?
Europäer, die nicht merken, dass sie genauso von diesen drei Bewegungen im Nahen Osten bedroht werden, könnten ein böses Erwachen erleben. Ich glaube jedoch nicht, dass es überhaupt eine einheitliche europäische Sichtweise gibt. Das ist vor allem ein französisches Phänomen.
Ist es nur Zufall, dass sich der Konflikt in einer Ölregion abspielt?
Der Nahe Osten ist die einzige Region der Welt, die fast völlig frei ist von demokratischen und rechtsstaatlichen Regierungsformen, mit Ausnahme von Israel und der Türkei. Das ist teilweise auf den Einfluss der Wahhabiten zurückzuführen – sie sind besonders antimodern und hängen einer sehr aggressiven Interpretation des Islam an. Da sie mit der saudischen Königsfamilie verbündet sind und ein großer Teil der globalen Ölreserven unter der arabischen Halbinsel liegt, haben die Wahhabiten das Geld, ihre sehr hasserfüllte Form des Islam zu verbreiten.
Einige Regierungen der Region sind die besten Verbündeten der Vereinigten Staaten …
Während des Kalten Krieges und davor sind die USA auch taktische Bündnisse mit einigen sehr hässlichen Regierungen eingegangen: Francos Spanien, Salazars Portugal, Pinochets Chile, verschiedene Diktatoren Südkoreas. Aber sehen Sie sich die Regierungen dieser Länder heute an: Wir haben unseren Einfluss geltend gemacht, und alle sind heute feine Demokratien.
In Saudi-Arabien und Pakistan hat das nicht funktioniert.
In Saudi-Arabien nicht. Pakistan ist schon besser dran als noch vor einiger Zeit. Wir müssen diesen Krieg zu einem Krieg zur Befreiung der Menschen im Nahen Osten machen. Wir müssen die hunderttausenden anständigen und vernünftigen Muslime überzeugen, dass wir sie von diesen schrecklichen Regierungen befreien wollen, vor allem in Irak und Iran. Und vielleicht, ja, auch Saudi-Arabien.
Gibt es irgend etwas, das die USA davon abbringen könnte, den Irak anzugreifen?
Ich hoffe nicht. Denn dieses Regime arbeitet sehr hart an der Entwicklung von Atomwaffen, an der Weiterentwicklung ihrer bereits illegalen Raketensysteme, ihrer bereits illegalen biologischen und chemischen Waffen. Wenn Irak in den Besitz von Nuklearwaffen und Langstreckensystemen kommt, wird er den Nahen Osten dominieren. Das werden wir nicht zulassen.
Was wäre, wenn die irakische Regierung erneut UN-Waffeninspekteuren den Zutritt erlaubt?
Die Kontrollen werden vollkommen wertlos sein. Wir wissen, dass ein Teil der biologischen und chemischen Waffensysteme und Laboratorien mobil ist. Saddam benutzt keinen großen Zentralreaktor, um spaltbares Material herzustellen, sondern eine ganze Reihe kleiner, verstreuter Einrichtungen, teilweise unter Schulen und Krankenhäusern und in Wohngegenden versteckt. Selbst zur Zeit der Inspekteure Ekeus und Butler vor 1998 war es nicht möglich, alles herauszufinden. Das sogar noch schwächere System, das Kofi Annan ausgehandelt hat, hat dazu noch weniger eine Chance.
Die meisten europäischen Regierungen setzen aber auf die UN-Inspekteure.
Das ist Träumerei. Kein Inspektionsregime, dem Saddam zustimmt, hat irgendeine Chance, insbesondere das Bio-Waffenprogramm herauszubekommen. Gleiches gilt auch für den Großteil des Atomwaffenprogramms.
Ist es auch eine Illusion, dass europäische Bedenken gegen einen Irak-Krieg die USA daran hindern könnten?
Wenn die heute zögerlichen Europäer eines Tages die Feiern in den Straßen von Bagdad sehen und erleben, dass eine neue irakische Regierung diese ganzen Waffenprogramme tatsächlich abschafft, dann werden auch sie sich darüber freuen, was wir gemacht haben.
Brauchen die Vereinigten Staaten überhaupt Alliierte?
Sicher, und je mehr, desto besser. Aber unter militärischen Gesichtspunkten sind nur drei Staaten essenziell: Großbritannien, die Türkei und Kuwait. Um die Wahrheit zu sagen: Mit Ausnahme Großbritanniens haben die europäischen Länder ihre Verteidigungshaushalte nicht für den Aufbau von Fähigkeiten genutzt, die in der Art von Kriegen, wie sie im Nahen Osten bevorstehen, besonders hilfreich wären.
Bislang sind die politischen Bedingungen für einen Krieg gegen den Irak noch nicht geschaffen. Die USA scheinen die einzige Regierung zu sein, die diesen Krieg führen will.
Unsinn! Es gibt eine große Unterstützung vieler europäischer Regierungen, und es gibt eine Menge vertraulich signalisierter Unterstützung von Regierungen im Nahen Osten. Nur Frankreich, das dagegen ist, und Deutschland, wo die Ansichten geteilt sind, machen noch nicht Europa aus.
Stimmt der Eindruck, dass es Sie nicht besonders interessiert, was das Völkerrecht sagt?
Das ist lächerlich. Es gibt überhaupt keinen Grund im Völkerrecht, warum die USA sich nicht der Position von Saddam Hussein anschließen sollten, dass der Golfkrieg noch nicht vorbei ist. Saddam hat den Krieg seit 1991 weitergeführt, er hat 1993 versucht, unseren früheren Präsidenten umzubringen, er verletzt jeden Tag die Bestimmungen des Waffenstillstandsabkommens, denen er 1991 zugestimmt hat und die sich in den Resolutionen der Vereinten Nationen wiederfinden. Wenn er behauptet, er habe keine Massenvernichtungswaffen, dann lügt er. Es gibt keinen Grund, warum wir die Waffenstillstandsbestimmungen nicht durchsetzen sollten. Ich halte das für eine international tragfähige juristische Rechtfertigung des Krieges.
Wird der Krieg wie der Golfkrieg von 1991 aussehen oder mehr wie der Afghanistankrieg?
Gemischt. Im Nordirak wird der Krieg mehr an Afghanistan erinnern, weil wir dort nur vorgehen können, wenn wir eine Verabredung zwischen den Türken und den Kurden erreichen. Der neue demokratische Irak wird eine föderale Struktur haben, und die Kurden werden einen bestimmten Autonomiegrad haben, aber es wird kein separates unabhängiges Kurdistan geben. Wenn wir so eine Verabredung erzielen können, dann hätten wir 70.000 bis 80.000 sehr gut ausgebildete Peschmerga [kurdische Kämpfer, die Red.] auf unserer Seite. Durch die Ausweitung des Einsatzes intelligenter Waffen sind wir in der Lage, einen effektiven Luftkrieg zu führen, und Spezialeinheiten könnten zusammen mit den Kurden im Norden vorgehen, ein bisschen wie in Afghanistan. Im Süden ist es anders – das wäre vor allem eine Sache für US-Truppen, die vom Persischen Golf hereinkommen müssten. Ich denke, 100.000 bis 200.000 Mann sollten in der Region sein.
Wann wird es so weit sein?
Je schneller, desto besser. Jeder Monat, der ins Land geht, bringt Deutschland mehr in Gefahr, in der Reichweite von Saddams Atomraketen zu sein.
Können Sie sich eine Situation vorstellen, in der die USA Atomwaffen gegen Irak einsetzen?
Ich wüsste nicht, warum das nötig sein sollte. Mit Ausnahme der Republikanischen Garde rechne ich mit einer schnellen Niederlage der übrigen irakischen Truppenteile. Möglich ist eine wirklich blutige Schlacht um Bagdad.
Spielt der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern eine Rolle bei der Zeitplanung?
Ich hoffe nicht. Ich glaube tatsächlich, dass die Palästinenser am ehesten begreifen, dass sie einen vernünftigen Führer wählen müssen, wenn sie sehen, dass wir das irakische Baath-Regime beseitigen und Irak zu einer Demokratie machen können.
Präsident Bush hat die Aufhebung des Verbots der gezielten Tötung ausländischer Politiker durch die CIA gutgeheißen. Macht das Ihren früheren Job einfacher?
Das stimmt ja so nicht. Das Verbot gilt weiter – etwa für die Ermordung Castros. Es gibt historisch eine Ausnahme in Kriegszeiten. Im Zweiten Weltkrieg haben wir die japanischen Codes geknackt und so exakt erfahren, wo Admiral Yamamoto, befehlshabender Offizier des Angriffs auf Pearl Harbour und Japans wichtigster Admiral, war. Wir haben dann mit Kampfflugzeugen das Flugzeug abgeschossen, in dem er saß, und natürlich genau mit dem Ziel, ihn zu töten. Wenn das von Präsident Ford 1976 unterzeichnete Verbot im Zweiten Weltkrieg in Kraft gewesen wäre, hätte es das auch nicht verhindert. Gleiches gilt für unsere derzeitigen Bemühungen, Taliban- und Al-Qaida-Führer in Afghanistan umzubringen.
Sie sind Demokrat. Würde ein Machtwechsel zugunsten der Demokraten im Kongress bei den Novemberwahlen irgendeine Veränderung bedeuten?
Wahrscheinlich nicht. Widerspruch, auch von mir, gibt es bei anderen Themen: die Energiepolitik zum Beispiel. Wir müssen dringend unsere Abhängigkeit vom Öl verringern. Der Nahe Osten wird immer größere Anteile der Weltölförderung übernehmen, weil andere Ölfelder trockenfallen. Es ist sehr kurzsichtig von den USA, so etwas wie Gasanlagen und Biomassentreibstoffe nicht rigoros zu fördern und im Übrigen Russland als größeren Produzenten ins Spiel zu bringen.
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