: Europa nervt USA
Im Vorfeld von Bushs Europa-Reise zeigt sich US-Außenminister Colin Powell nicht amüsiert über die Vorbehalte vieler europäischer Kollegen
BERLIN taz ■ Vor dem Berlin-Besuch von US-Präsident George W. Bush sind Teile des Washingtoner Establishments frustriert über Europa. Stets würden führende Europäer auf die USA „einschlagen“, beschwerte sich US-Außenminister Colin Powell vor Journalisten aus EU-Staaten. Dabei verbringe er „einen riesigen Teil“ seiner Zeit damit, seinen europäischen Kollegen zuzuhören. „Das kann ich dokumentieren mit meinen Telefonprotokollen!“ Diese Woche begleitet der Außenminister seinen Präsidenten auf einer Tour von Berlin nach Moskau, Sankt Petersburg, Paris und Rom.
Trotzdem gebe es „eine Reihe von Leuten in Europa, die ganz schnell darin sind, an jeder Position, die die Vereinigten Staaten beziehen, etwas auszusetzen“. Die meisten dieser Befürchtungen, etwa bei der Kündigung des ABM-Vertrages, hätten sich als verfehlt erwiesen. „All die düsteren Konsequenzen, die nach Ansicht mancher über uns hereinbrechen würden, sind nicht über uns hereingebrochen.“
Ganz so deutlich wird George W. Bush den Ärger in seiner Verwaltung wohl nicht formulieren. Doch mit den deutsch-amerikanischen Beziehungen will der Präsident sich bei seinem Deutschlandbesuch nicht lange aufhalten. Der Höhepunkt seines 19-stündigen Berlin-Aufenthalts, die Rede vor dem Bundestag am morgigen Donnerstag, ist als großer Wurf über das amerikanische Verhältnis zu Europa angelegt. Geplant sei eine „historische Botschaft von der vereinten Hauptstadt eines vereinten Deutschlands im Herzen eines sich vereinenden Europas“, formulierte Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice. Die frühere Professorin begeistert sich für die Symbolkraft Berlins, seit sie Anfang der Neunzigerjahre ein viel beachtetes Buch zum deutsch-deutschen Vereinigungsprozess verfasst hat.
Bushs Gespräche mit Bundespräsident Johannes Rau und Bundeskanzler Gerhard Schröder dürften daher eher im Schatten der Rede stehen. Das Themenaufgebot, das Schröders Berater gestern skizzierten, liest sich ohnehin wie ein Rundumschlag: Afghanistan, Anti-Terror-Krieg und Naher Osten sind fest gesetzt. Den Streit über US-Strafzölle auf Stahl und Agrarprodukte spielt die deutsche Seite eher herunter; ähnlich äußerte sich Sicherheitsberaterin Rice in Washington. Auch muss Bush kaum mit Kritik am Ausstieg der USA aus dem Klimaprotokoll von Kioto und aus dem Internationalen Strafgerichtshof rechnen. „Eine Bekräftigung unserer Bedenken in verschiedenen Bereichen“ – mehr haben die deutschen Diplomaten nicht vorgesehen.
Besondere Bedeutung kommt dagegen der Einbindung Russlands in den Westen zu, weil Bush morgen weiter nach Moskau zu Präsident Wladimir Putin fliegt und seine sechstägige Reise mit dem Nato-Russland-Gipfel in Rom beschließt. Dort will die Organisation einen „Rat der zwanzig“ gründen, der Russland mehr Mitsprache erlaubt. Mit Putin unterzeichnet Bush den Vertrag zur Reduzierung der Atomsprengköpfe beider Länder von jetzt 6.000 auf 1.700 bis 2.000 binnen zehn Jahren. Während also Bush bei diesen Themen von seinen Erfolgen erzählt, wird Schröder freundlich nicken.
Der einzige heikle Gegenstand der Gespräche bereitete den Diplomaten schon bei der Aufstellung der Tagesordnung Schwierigkeiten: Packt man den Streitfall Irak in den Komplex „Naher Osten“, und also Friedenssuche, oder zum „Anti-Terror-Krieg“? Letztlich landete der Irak beim Tagesordnungspunkt Krieg – auch wenn in Berliner Regierungskreisen beteuert wird, damit sei keine Abkehr von der deutschen Skepsis gegenüber einem Militärschlag verbunden.
Condoleezza Rice machte allerdings bereits in einem ZDF-Interview deutlich, dass die USA die Bundesregierung nicht aus der Verantwortung entlassen wollen: „Wir erwarten von Deutschland Unterstützung für die Story, die wir über diesen fürchterlichen Mann erzählen, der zeit seines Lebens versuchte, fürchterliche Waffen zu erwerben.“ Direkte Hilfe forderte sie nur bei der Durchsetzung der UN-Sanktionen, sagte aber auch: „Früher oder später wird die freie Welt sich um diese fürchterliche Bedrohung kümmern müssen.“ Schröder will sich dazu zumindest öffentlich am liebsten gar nicht reden. „Wir werden uns doch nicht zur Unzeit eine Debatte zuziehen“, sagte ein hoher Regierungsbeamter gestern.
Einen Schwenk gab es jetzt bei der Rhetorik: Statt von „uneingeschränkter“ Solidarität spricht das Schröder-Team jetzt auch auf Nachfrage nur noch von „Solidarität, wie wir sie seit dem 11. September praktizieren“.
PATRIK SCHWARZ
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