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Zurück zur Kaderschmiede

Mit Blick auf den Medaillenspiegel künftiger Olympischer Spiele propagieren deutsche Sportfunktionäre immer eifriger das lange verpönte Konzept der Sportschulen nach DDR-Modell

von MARKUS VÖLKER

Das Verdikt des Leistungssports ist denkbar einfach formuliert: „Höher, schneller, weiter“ lauten die Imperative, die Sportkarrieren antreiben und erst mit einer olympischen Medaille an Dringlichkeit verlieren. Aber wie kommt man ans Gold? Wie lässt sich das „citius, altius, fortius“ für die ambitionierte Kanutin oder den jungen Sprinter umsetzen, ohne der Muskelbildung zu viel und der Ausbildung zu wenig Zeit zu schenken? Weist die Nachwuchsförderung in die richtige Richtung, führt sie zwangsläufig über die so genannten Eliteschulen des Sports direkt in den Medaillenspiegel?

In Athen, so sehen es nicht nur deutsche Sportfunktionäre vor, soll Deutschland auf Platz drei der Nationenwertung stehen und die Leistung von Sydney (Platz 5) vergessen machen. Der Nachwuchs muss es richten. Katja Abel (19) hat deswegen ihren Wecker auf halb sechs gestellt. Die Schülerin der Werner-Seelenbinder-Schule, eine von 21 Sportschulen im Osten, hat einen harten Tag vor sich. Nach dem Frühstück trainiert sie zwei Stunden. Sie probt Überschläge auf dem Schwebebalken und Dreifachsalti am Boden. Dann stehen fünf Stunden Schule an. Nach dem Mittagessen gönnt sich Katja eine Pause, bevor sie erneut drei Stunden turnt. Erschlagen und müde erledigt sie um acht ein paar Hausaufgaben, um Mitternacht knipst sie das Licht aus. „Die Rahmenbedingungen sind schon gut“, sagt sie. „Aber um international mitzuhalten, reicht es nicht, was nutzen mir schon deutsche Meistertitel.“ Sie wünscht sich, dass in ihre Klasse nur noch Leistungssportler gehen, „nicht so gemischt“. Bis zur 10. Klasse findet sie den Mix mit weniger talentierten Klassenkameraden „okay“, danach müsse sortiert werden.

Die Seelenbinder-Schule ist eine von drei Sportschulen im Osten Berlins. Hier wurden Franziska van Almsick und Jan Ullrich getrimmt. Vor der Wende gehörte sie zum Verbundsystem der DDR-Nachwuchskaderschmieden, „Kinder- und Jugendsportschule“ (KJS) genannt, in denen die „Botschafter im Trainingsanzug“ reiften, um später der Welt zu beweisen, wie erfolgreich DDR-Bürger sind. Nach der Wende kollabierte das System der KJS. Es war geschichtlich diskreditiert, verschrieen als ein Hort des Kinderdopings und als perverser Auswuchs ideologischer Indoktrination.

Nur langsam erholte sich das Relikt und erstand auf wie das Ampelmännchen. Allgemeingut der Ostalgiewelle war die Behauptung, neben den Brötchen sei auch das KJS-System gar nicht so schlecht gewesen. Sportfunktionäre aus den alten Ländern stellten sich Volkes Meinung nicht lange in den Weg und propagierten im Neuen Deutschland schon auch mal, DDR-Hochleistungssportler hätten „eine im Sinne des humanen Leistungssports hervorragende Grundausbildung bekommen“. Manfred von Richthofen, Präsident des Deutschen Sport-Bundes (DSB), steht für die „Ausweitung des Systems der Eliteschulen“: „Dieses in Ostdeutschland vielfach bewährte Netzwerk brauchen wir flächendeckend auch im Westen.“ Und IOC-Vize Thomas Bach rät, bei der Beurteilung des DDR-Sports nicht alles mit Doping in Verbindung zu bringen.

In Salt Lake City wurden 81 Prozent der Medaillengewinner in Sportschulen gefördert. In Sydney war es jeder zweite Athlet. Biografische Ausrutscher, wie den des 400-Meter-Läufers Ingo Schultz, bezeichnet das Fachblatt Leichtathletik bereits als „leistungssportliches Zufallsprodukt“, weil Schultz im Sportschulalter lieber Geige spielte als eine Rolle im Fördersystem.

Der Bund gibt im Jahr siebzig Millionen Euro für den Nachwuchs aus. Über vierzig Millionen investiert der Sparkassen- und Giroverband in die Sportschulen. Armin Baumert, im DSB mit der Nachwuchsförderung betraut, will das Sportschulsystem auch in den alten Ländern etablieren. Von den 37 Schulen stehen 16 im Westen, gelten aber zumeist als weniger leistungsorientiert.

„Wir brauchen viel mehr Qualität an den Schulen“, fordert Klaus Rost vom Institut für Angewandte Trainingswissenschaft in Leipzig. Er leitet die Fachgruppe Nachwuchssport und feiert in diesem Jahr „50 Jahre Sportschultradition in Leipzig“. Eine direkte „Traditionslinie“ von den KJS hin zu den Eliteschulen des Sports will er zwar nicht sehen, eine „gewisse Vermischung der Konzepte“ dagegen schon. In der sportlichen Leistung nachlassende Schüler möchte er relegieren, warnt davor, „alle möglichen Einrichtungen als Eliteschule auszurufen“, und spricht sich für „zentralistische Vorgaben“ aus. Zu viele Unbegabte verwässerten den Leistungsanspruch.

Den Schulwettbewerb „Jugend trainiert für Olympia“ hat Rost versucht leistungsmäßig aufzupeppen. Weil er da jedoch „resigniert“ hat, soll es ein neuer Wettbewerb im Stile der DDR-Spartakiaden richten: olympische Jugendspiele. Der DSB sträubt sich dagegen. Die Kultusministerkonferenz der Länder kann sich hingegen einen Wettbewerb der Eliteschulen untereinander vorstellen. Ein geeignetes Motto dafür wäre dann: „Höher, schneller, weiter“. Und goldiger.

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