Genua-Ermittlungen

Prozesse gegen mutmaßliche Prügelpolizisten; Verfahren gegen Globalisierungskritiker werden eingestellt

ROM taz ■ 48 neue Ermittlungsbescheide für Polizisten, 93 unmittelbar bevorstehende Verfahrenseinstellungen für Globalisierungskritiker: Die Ermittlungen der Genueser Staatsanwaltschaft zum nächtlichen Sturm der Sicherheitskräfte auf die Scuola Diaz – auf die während des G-8-Gipfels im letzten Juli vom Genoa Social Forum genutzte Schule – machen weitere Fortschritte.

Die damals von der italienischen Polizei inszenierte Prügelorgie hatte weltweites Aufsehen erregt. Dennoch hatte die Polizeiführung ein reines Gewissen. Einerseits hieß es, die Verletzungen rührten gar nicht vom Einsatz her, sondern von den Straßenschlachten der Vortage, andererseits verbreitete die Polizei, ihre Leute seien beim Sturm auf die Schule massiv attackiert worden und hätten halt den Widerstand brechen müssen. Als Beweis wurde die aufgeschlitzte Jacke eines Beamten hergezeigt, der angeblich nur dank seiner kugelsicheren Weste die Messerattacke eines der in der Schule Hausenden überlebt hatte.

Jetzt liegt nach von der Tageszeitung Repubblica aufgegriffenen Indiskretionen das Gutachten zu Jacke und Weste vor, erstellt von den Carabinieri – dem neben der Polizei zweiten Sicherheitsapparat in Italien. „Inkompatibel“ seien die Spuren auf den beiden Stücken, vermerkt das Gutachten. Im Klartext: Womöglich wurde gar zu unkundig an der Jacke rumgefingert, um „Beweise“ zu schaffen.

Der Polizist muss sich jetzt auf ein Verfahren einstellen, ebenso wie 48 Beamte der Bereitschaftspolizei (gegen 29 ihrer Kollegen laufen schon die Verfahren) und diverse Polizeichefs. Ihnen wird durch die Bank Körperverletzung vorgeworfen.

Mittlerweile ist die Staatsanwaltschaft aufgrund zahlreicher Zeugenaussagen sicher, dass die Einheit der römischen Bereitschaftspolizei als erste in die Scuola Diaz eindrang, auch wenn ihr Kommandant Vincenzo Canterini jede Verantwortung abstreitet – angeblich seien vor seinen Mannen unbekannte Polizisten in Zivil vor Ort gewesen. Aber auch die anderen damals anwesenden Polizeioffiziere wird Mittäterschaft durch Unterlassung vorgeworfen, da sie den Prügelpolizisten nicht Einhalt geboten haben.

Mit der Einstellung der Verfahren wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung dürfen dagegen die damals Festgenommenen rechnen. Die Staatsanwaltschaft moniert vor allem, dass der Polizeibericht keinem Einzigen der Sistierten konkrete Taten zuordnet.

MICHAEL BRAUN