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Von Finnland „Pisa“ lernen

■ Bildungssenator Lemke hat sich vom finnischen Schulsystem anstecken lassen. Im Herbst soll die Deputation ins Land der Pisa-„best practice“ pilgern

„Ich bin wirklich begeistert aus Finnland zurückgekommen“, bekannte Bremens Bildungssenator Willi Lemke (SPD) am Mittwoch Abend vor Journalisten, „total begeistert“. Und dann die ernüchternde Kehrseite: „Wir brauchen noch lange, bis wir finnische Verhältnisse haben. Was in Finnland gut läuft, kann ich hier nicht von heute auf morgen einführen.“

Finnland ist zum Mekka der Bildungspolitiker geworden, seitdem das Land beim internationalen OECD-Bildungstest, dem so genannten Pisa-Test, so gut abgeschnitten hat: Deutlich mehr SchülerInnen in Finnland machen Abitur, deutlich besser sind die Leistungen sowohl in den „literarischen“ Fächern wie in Mathe und Naturwissenschaften, deutlich kleiner ist die „Versagerquote“, deutlich weniger groß ist die Abhängigkeit zwischen sozialem Status und Bildungschancen. Die Bundesbildungsministerin ist mit einigen SPD-Kollegen über Pfingsten hingefahren, um sich vor Ort das Erfolgsmodell erklären zu lassen.

„Vor Jahrzehnten haben die die Gesamtschule für alle durchgesetzt“, berichtete Lemke, das sei nicht ohne Konflikte gegangen, aber heute sei das Modell verpflichtend für alle. Und es gibt in ganz Finnland keine einzige Privatschule. Die Schüler haben weniger Unterrichtsstunden als in Deutschland. Und die Lehrer werden schlechter bezahlt. Aber dafür hat Lemke ein „unglaublich gutes Lernklima“ vorgefunden, „Fördern statt Auslesen“ sei die Devise, in den ersten sechs Jahren darf niemand sitzen bleiben.

Nach der 10. Klasse gehen 55 Prozent zur gymnasialen Oberstufe. Die Schulen haben weit mehr Selbstständigkeit als in Deutschland, jede Schule bekommt pro Schüler ein Budget und kann dafür an Personal einstellen, was die Schulleitung für erforderlich und nützlich hält. Es gibt eine Probezeit, wer danach nicht ins Team passt, wird nicht übernommen.

Dabei herrscht ein durchaus strenges Lernklima, berichtete Lemke. „Eine Prüfung jagt die andere“, nach jeder Einheit findet eine Klausur statt. Insbesondere in der Oberstufe haben die SchülerInnen die freie Wahl der Kurse – nur steht am Ende ein Zentralabitur. Ob jemand zwei, drei oder vier Jahre braucht, ist seine Sache – die meisten brauchen drei –, die Abi-Prüfungsaufgaben sind dann aber für alle finnischen SchülerInnen dieselben. Erwachsene können das Abitur nach denselben Bedingungen nachholen. Zwischendurch gibt es immer wieder zentral gesteuerte Vergleichsarbeiten zur Kontrolle des Niveaus der Schulen.

In Finnland wird das gute Pisa-Ergebnis gefeiert, aber es gibt auch skeptische Anmerkungen. Die abnehmende Lese-Freude unter Jugendlichen wird beklagt, und es wird beispielsweise festgestellt, dass nach Pisa die „Spitze“ der sehr guten Schüler sehr dünn sei.

Ursache könnte sein, heißt es in einer Analyse von Leena Itkonen, „dass in den heterogenen Klassen die Lehrer damit ausgelastet sind, sich um die Schwächeren zu kümmern, so dass sie für die besonders Begabten kaum Zeit und Enerigie übrig haben.“

Finnland gibt insgesamt nur wenig mehr Geld aus für seine Schulen, aber die Verteilung der Mittel ist eine andere: In die Grundschulen fließt deutlich mehr Geld als in Deutschland. Vor allem aber könnten aufgrund der geringeren Lehrergehälter sehr viel mehr Angebote gemacht werden, erklärte Lemke das System.

„Assistenten“ würden bei der Kleingruppenarbeit und bei den Betreuungsgruppen helfen, ältere Schüler spielen „Tutoren“ für kleinere. Kostenloses Mittagessen für alle, Betreuung, Förderkurse, Arbeitsgruppen, Sport- und Spielangebote – „die Schulen sind sehr gut ausgestattet. Die lassen keinen fallen.“ Und die Lehrer seien stolz darauf, zur Elite der Gesellschaft zu gehören.

Lemke war so begeistert von seiner Finnland-Reise, dass er die Bildungs-Deputation im Herbst nicht nach Flandern, sondern dorthin führen will.

K.W.

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