: Großer Bahnhof für Bush
Am dritten Tag der Proteste gegen den Besuch des US-Präsidenten reiten Cowboys durch Mitte. Zuvor wurde der Bahnhof Alexanderplatz besetzt, weil die Polizei Demonstranten nicht fahren lassen wollte
von BENJAMIN DIERKS und JAN ROSENKRANZ
Auch der dritte Tag der Proteste gegen den Besuch von US-Präsident Georg W. Bush brachte die Demonstranten nochmals auf Trab. Cowboys und -girls demonstrierten gegen den Texaner. Und am Mittag wurde kurzzeitig der Bahnhof Alexanderplatz besetzt.
Relativ unbehelligt von der Polizei zogen am Nachmittag weit mehr 2.000 Demonstranten unter dem Moto „Kuhtreiber statt Kriegstreiber“ vom Weinbergspark durch Mitte. Im „großen Treck gegen den Texaner und seinen Steigbügelhalter Colored Hair Schröder“ ritten Teilnehmer auf zu Pferden verkleideten Fahrrädern gen Humboldt-Universität. Viel trugen Cowboyhüte oder Häuptlingsfedern. Andere hatten entgegen der friedlichen Botschaft indianische Kriegsbemalung im Gesicht.
Damit demonstriere man in ersten Linie, so ein Teilnehmer, dass Protestkultur auch Spaß machen kann. Die Veranstaltung hatte dennoch einen ernsten Hintergrund. So verkündete eine Sprecher zum Auftakt, dass Bush und Schröder „nicht auf unsere uneingeschränkte Solidarität rechnen können“. Er forderte den Rückzug der Bundeswehr von den Auslandseinsätzen und die Rücknahme des Sicherheitspaketes: „Dieser Sicherheitswahn kostet uns die Freiheit.“
An der Spitze des Trecks fuhr ein Lkw mit gelben Strohballen und einer Countryband. Melodien von Johnny Cash bis zu „Spiel mir das Lied vom Tod“ erheiterten die Menge, die mit Indianergeheul reagierte. Drei Demonstrantinnen ließen eine überdimensionale Bushfigur aus Pappmaschee tanzen und mit den Armen schlenkern. Auch die Polizei wertete den Aufzug zu Recht als Spaßevent und rechnete nicht mit Ausschreitungen.
Nicht ganz so friedlich blieb die nicht angemeldete „Reclaim the streets“-Aktion, zu der sich an die 1.000 Menschen unter der Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz einfanden. „Das ist eher so die Schülerfraktion“, beschrieb ein älterer Aktivist die Ansammlung, „früher waren wir doch immer die Jüngsten bei Reclaim-Aktionen.“ Erst nach einer halben Stunden kam Bewegung in die zuvor in der Sonne dösende Menge. Mit Trillerpfeifen und Trommeln wurde zum Aufbruch geblasen und ein Transparent in den Farben der US-Flagge entrollt. „Berlin welcomes Bill Clinton“ war darauf zu lesen.
Lärmend rannte die Gruppe über den Platz. Das angestrebte Straßenblockieren gestaltete sich aber gar nicht so einfach, denn die Polizei, die sich zunächst zurückhaltend zeigte, war plötzlich überall. Und auf die Straße wollte sie die Reclaimer schon gar nicht lassen. Die zeigten sich trotz der Hitze ganz schön fit und lieferten sich ein einstündiges Katz-und-Maus-Spiel mit den Ordnungshütern. Kurz gelang es ihnen, die Kreuzung vor dem Haus des Lehrers zu besetzen.
Wenig später ging dann am S-Bahnhof Alexanderplatz gar nichts mehr. Ein Zug kam nicht weiter, ein anderer konnte gar nicht erst einfahren. Ein paar hundert Aktivisten hatten den Bahnhof gestürmt, um zur nächsten Blockade zu fahren. Doch die Polizei ließ die Bahnen kurzerhand anhalten. Demonstranten wurden aus den Wagons geholt und auf dem Bahnsteig festgehalten. Reisende kamen weder rein noch raus. „Haut ab“-Rufe hallten durch den Bahnhof, dann ein Countdown.
Einige Aktivisten sprangen auf die Gleise und kletterten auf den gegenüberliegenden Bahnsteig. Das gelang noch ein zweites Mal. Dann war die Polizei auch dort und nahm Nachzügler brutal fest. Eine halbe Stunde später beruhigte sich die Lage, und der Fahrbetrieb wurde wieder aufgenommen.
Extrem ruhig blieb am Morgen ein mit bis zu 400 Teilnehmern angekündigtes „Die-in“ auf dem Adenauerplatz. Nur vier Menschen legten sich hier auf weiße Laken zum kollektiven Totstellen gegen die US-amerikanische Kriegspolitik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen