: „Viele Lagerstätten sind völlig unzureichend gesichert“
Corinna Hauswedell, Projektleiterin am Bonn International Center for Conversion, über die Mängel des russisch-US-amerikanischen Abrüstungsabkommens
taz: Gestern haben US-Präsident Bush und Russlands Präsident Putin einen Abrüstungsvertrag unterschrieben, der die Zahl der nuklearen Sprengköpfe reduziert. Ist das nun ein wahrhaft historischer Einschnitt?
Corinna Hauswedell: Es ist zweifelsohne positiv, dass hier eine relevante Anzahl strategischer Nuklearwaffen aus den Zeiten des Kalten Krieges für die Abrüstung freigegeben werden. Aber die wesentliche Funktion des Abkommens ist politisch – es dokumentiert eine neue Definition des Verhältnisses zwischen Russland und den USA.
Ist also die Welt seit gestern sicherer geworden?
Ich würde drei Punkte nennen: Erstens wird Altes, Bedeutungsloses aus dem Kalten Krieg aus dem Verkehr gezogen. Das ist gut. Aber das Abkommen enthält keine Maßnahmen zur Sicherung des weiteren Verbleibs, wie es frühere Rüstungskontrollabkommen taten. Zweitens geht das Abkommen Hand in Hand mit einer Neuformulierung der Nuklearstrategie der USA. Es wird weiterhin an nuklearen Raketenabwehrsystemen gearbeitet, und zwar unter der Option, diese Raketenabwehr mit nuklearen Gefechtsköpfen zu versehen. Drittens, und das ist vielleicht das Wichtigste: Die Aufmerksamkeit für die Verhinderung der Weiterverbreitung, also die nukleare Nonproliferation, wird ausgehebelt. Darauf wird überhaupt kein Augenmerk gerichtet. Dadurch entstehen ganz neue Gefahren.
Wo sehen Sie diese Gefahren?
Wir gehen davon aus, dass es international gegenwärtig rund 250 Tonnen militärisches Plutonium und rund 1.700 Tonnen hochangereichertes Uran gibt. Viele dieser Lagerstätten sind unzureichend gesichert und zurzeit gar nicht bekannt. Notwendig wären dringend auch finanzielle Hilfen, um die Sicherheit der russischen nuklearen Lagerstätten zu verbessern. Dies alles ist nicht Gegenstand des Vertrags. Zweitens gab es, übrigens auch von deutscher Seite, in den letzten Jahren immer Forderungen, Kernwaffen bei der UNO zu registrieren – das ist nicht passiert. Gerade um zu verhindern, dass Massenvernichtungswaffen in die Hände politischer Desperados gelangen, wären solche Schritte wichtig. Das Ziel der Nichtweiterverbreitung wird außer Kraft gesetzt, wenn nicht in allen drei Bereichen von Massenvernichtungswaffen weiter an der Entwicklung von Kontrollmechanismen gearbeitet wird – und hier sind die USA völlig ausgestiegen.
Kann man sagen, dass die USA mit diesem Abkommen im Sinne ihrer neuen Strategie lediglich Ballast abwerfen?
Ich würde eher von einem Paradox sprechen – nämlich dass man die Notwendigkeit zur Abrüstung dokumentiert, sich dabei aber auf Altlasten beschränkt und die gleiche Notwendigkeit in einem neuen Kontext nicht anerkennt.
Wo bleibt eigentlich Europa angesichts der neuen Freundschaft zwischen den USA und Russland und der US-Kritik am Alten Kontinent?
Das militärische Potenzial Europas steht gegenüber den USA in einem Verhältnis, das die Forderung, mit den USA gleichzuziehen, ad absurdum geführt hat. Europa muss seine Rolle in der internationalen Konfliktbearbeitung neu definieren. Dazu gehört auch, ein neues Verhältnis zu Russland zu etablieren, in das Komponenten der zivilen Konfliktbearbeitung einfließen. Ich halte es für eine der akuten Aufgaben, die Potenzen Europas auszunutzen, vielleicht auch gemeinsam mit Russland, etwa für die Region rund um den Irak zu einem Stabilisierungskonzept zu kommen, das jenseits der militärischen Bedrohung liegt.
Sehen Sie denn Anzeichen für einen Konsens, Europas außenpolitische Rolle im Feld der zivilen Konfliktbearbeitung zu suchen?
Diesen Konsens gibt es derzeit im Sinne einer entwickelten Politikstrategie nicht. Aber es gibt viele Anzeichen dafür, dass sich das entwickeln kann. Die Initiativen von Solana und anderen in den letzten zwei Jahren in Mazedonien und im Kosovo deuten auch in diese Richtung. Es gibt derzeit viele Brennpunkte, an denen man schnell Lehren ziehen muss im Hinblick auf das Verhältnis von militärischen und nichtmilitärischen Mitteln – nicht nur beim Kampf gegen den Terror, sondern auch beim Umgang mit Konflikten.
Die USA scheinen ja die Europäer aufgrund des ihrer Meinung nach zu geringen militärischen Engagements nicht mehr ernst zu nehmen. Kann man sich wirklich vorstellen, dass sich die Europäer diesem Druck entziehen und sich als ziviler Akteur emanzipieren?
Jedenfalls lohnt es, in diese Richtung zu arbeiten. Wir wissen, was geschieht, wenn das Militärische überhand nimmt. INTERVIEW: BERND PICKERT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen