: Niemand gab den Befehl zum Befehl
NS-Kriegsverbrecher-Prozess: Historiker macht SS-Obersturmbannführer Friedrich Engel für Erschießung von 59 Partisanen verantwortlich. Für die konkrete Befehlsgewalt des „Schlächter von Genua“ fehlen nach 58 Jahren die formellen Belege
von Peter Müller/Andreas Speit
Die Beförderung zum SS-Obersturmbannführer wegen hervorragender Leistungen als sicherheitspolizeilicher Kommandoführer (SD) in Genua hat er 1945 gern angenommen, nur für die Sühneaktion am Turchino-Pass am 19. Mai 1944 möchte der Hamburger Friedrich Engel nicht die Befehlsgewalt gehabt haben. Mit dieser Verteidigungsstrategie könnte der 93-jährige durchaus 58 Jahre nach der Erschießung von 59 Partisanen Erfolg haben. Denn auch der Kölner Historiker Carlo Gientile konnte zu den Details gestern vor dem Landgericht nichts sagen: „Grundsätzlich lag die Verantworung bei Sühnemaßnahmen beim SD“, so Gientile. „Es lässt sich für den 19. Mai 1944 aber nicht mit Sicherheit sagen.“
Engel bestreitet nämlich, direkt die Erschießung als Reaktion auf einen Bombenanschlag auf das Soldatenkino „Odeon“ mit fünf Toten angeordnet zu haben. Vielmehr habe es einen auf einem SD-Treffen in Florenz verkündeten Befehl gegeben, solche „Terror-Aktionen“ mit Exekutionen im Verhältnis 1:10 zu beantworten. Das sei Führerbefehl gewesen, der auch, so hätte es ihm der Befehlshaber mit Jura-Studium versichert, „völkerrechtlich abgedeckt“ sei. In diesem Fall habe aber die Marine selbst die Durchführung übernommen.
„Die Existenz des Führerbefehls wird von Historikern bestritten“, bekräftigt Gientile. „Wenn es diesen Befehl gegeben hat, warum ist er dann bei ähnlichen Sühneaktionen so selten eingehalten worden?“ Gientile bezweifelt, dass die Marine die Befehlsgewalt gehabt habe und verweist auf andere Exekutionen, bei denen der SD von Partisanenangriffen betroffene Wehrmachtseinheiten als Erschießungskommandos einsetzte.
Da die Aufarbeitung aufgrund der zeitlichen Distanz so schwierig ist, lässt Richter Rolf Seedorf keinen Anlass aus, die italienische Justiz wegen der jahrzehntelangen Verschleppung zu tadeln und verliest genüsslich Zeitungsartikel über die italienische Motivlage. Die Politik habe nämlich ihre eigenen Kriegsverbrechen auf dem Balkan vertuschen wollen. Kein Wort allerdings dazu, warum die deutsche Justiz den schon seit 1945 bekannten Kriegsverbrecher Engel trotz mehrerer Zeugenaussagen erst jetzt wegen 59fachen Mordes angeklagt hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen