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Die Schwärze über dem Tisch

Auf der Suche nach dem Verdrängten: Während Freud sich in die Abgründe der Seele stürzte, trieben die Nazis draußen auf der Straße dunkle Dinge. Das beschäftigte Robert Longo in seinen „Freud Drawings“, ab heute im Jüdischen Museum zu sehen

von BETTINA VON STOCKFLETH

taz: Sie sind als Künstler, der sich mit zeitgenössischen Themen beschäftigt, bekannt. Wie kamen Sie auf die Idee, gewissermaßen historisch zu werden?

Robert Longo: Ende der 80er wollte ich mich auf einzelne Themen konzentrieren und legte quasi eine Liste an: Ich wollte über Pistolen arbeiten, über Flaggen, über Kreuze, über Autos und Geld. Und ich wollte etwas über Freud machen, weil er meiner Ansicht nach eine der einflussreichsten Persönlichkeiten des zwanzigsten Jahrhunderts ist.

Eines Tages besuchte mich ein Freund, ein französischer Philosoph. Mit den Worten „Kennst du das?“ ließ er ein Buch auf den Tisch fallen, und da lag plötzlich dieses Buch von Edmund Engelmann, „Sigmund Freud: Wien 10. Bezirk, Berggasse 19“. Das war eine echte Offenbarung. Was ich mit den „Freud Drawings“ gemacht habe, ist der Versuch einer Psychoanalyse von Freuds Wohnung. Ich wurde dabei inspiriert durch einen Zeitungsartikel über einen Mann, auf den während eines Banküberfalls geschossen wurde. Dieser Mann wurde in den Kopf geschossen und er dachte, er würde sterben. Später wurde er danach gefragt, was seine letzte Erinnerung sei, und er antwortete „Da war dieser Riss in der Decke.“

Ich verwendete dieses Konzept der selektiven Erinnerung, hob Teile der Einrichtung hervor, stellte Dinge in der Wohnung um, gab Gegenstände vergrößert wieder. Die Zeichnungen funktionieren also mehr wie Eindrücke von Freuds Wohnung. Zum Beispiel habe ich kürzlich diese Zeichnung von Freuds Büro fertig gestellt. Das Büro selbst sieht man jedoch kaum; es ist beinahe alles schwarz. Alles, was man wahrnimmt, ist ein Stapel Bücher auf dem Schreibtisch, der extrem hell erscheint. Das war meine Interpretation aus der Sicht eines Patienten.

Die „Freud Drawings“ sind ruhiger als Ihre früheren Arbeiten, obwohl die drohenden Ereignisse durchaus spürbar sind.

Das hat eine Menge mit meinem Privatleben zu tun. In den letzten drei, vier Jahren bin ich ruhiger geworden – gesünder und normaler; also hat es wirklich damit zu tun, eine Art von Frieden für mich zu finden. Zum Beispiel war eine der ersten Zeichnungen, die ich anfertigte, die mit dem Torbogen und dem Hakenkreuz darüber. Es fiel mir wirklich schwer, das Hakenkreuz aufzutragen, und ich dachte dauernd: Wenn ich da jetzt ein Hakenkreuz hinsetze, dann kauft niemand das.

Müssen Sie sich darum noch Sorgen machen?

Ich habe Kinder, und einer muss schließlich das Auto abbezahlen! (Lacht.) Ich habe mir allerdings wirklich Gedanken darüber gemacht, dass ich Leute vor den Kopf stoßen könnte. Aber das Hakenkreuz gehört nun einmal dazu und musste deshalb auf die Zeichnung. Der Aspekt, der mich wirklich schockierte, war das Bewusstsein, dass in dieser Wohnung dieser Mann – Freud – saß und sich mit den tiefen, dunklen Abgründen unserer Seele beschäftigte, während draußen auf der Straße die Nazis herumliefen und diese dunklen Dinge wirklich taten.

Ein Thema, das immer wieder in den „Freud Drawings“ auftaucht, ist die des Ein- und Ausgeschlossenseins. Türen spielen eine große Rolle.

Die ersten drei Türen waren beinahe wie Himmel, Hölle und Fegefeuer. Die Tür mit dem Hakenkreuz war das Tor zur Hölle, die mit dem Gitter das Fegefeuer. Die offene Tür ist der Himmel. Der Vergleich ist fast schon ein bisschen plakativ, aber ich hatte einfach Spaß an diesen Dingen. Beispielsweise streckte ich diesen Keramikofen …

Wo Sie zwei Reihen mit Kacheln einfügten, die nicht auf der Fotovorlage vorhanden sind. Warum?

Ich wollte ihm eine Erektion verpassen! Ich nahm den einzigen heißen Ort in der Wohnung und machte ihn größer. (Lacht.)

Also ganz eindeutig ein Phallussymbol.

Sure the fuck it is!

Nicht alle der „Freud Drawings“ stammen aus dem Buch von Engelmann?

Ich glaube, mehr als die Hälfte der Bilder habe ich daraus entnommen. Der Schreibtisch mit dem Stuhl davor – das ist eine der Arbeiten, die in Berlin sind – stammt aus dem Freud Museum in London. Und ich habe viele Bücher, aus denen ich schöpfen konnte.

Die politische Dimension in Ihren früheren Arbeiten wollte einen Gegendruck zur Übermacht der Medien erzeugen. Ist dieser Aspekt für die „Freud Drawings“ noch relevant?

Ich glaube, die offenkundigste Entwicklung in meinen Arbeiten der letzten drei oder vier Jahre ist, dass ich jetzt Sachen mache, die mehr zum Betrachten einladen und in die man eher hineinsehen kann. Frühere Arbeiten, wie die „Body Hammers“, attackieren den Betrachter dagegen. Ich wollte, dass meine Kunst aggressiv ist und mit den Dingen konkurrieren kann, die diktatorisch sind. Ich meine zum Beispiel mit McDonald’s, Coca-Cola, MTV, solchem Zeug. Rückblickend und auch aus meiner Rolle als Vater heraus würde ich sagen, na gut, vielleicht kann ich nicht unbedingt die Welt verändern. Aber ich denke, ich kann immer noch genügend Denkprozesse mit meiner Kunst auslösen.

Jüdisches Museum, Eröffnung heute um 19 Uhr, bis 14. Juli, tägl. 10–20 Uhr

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