piwik no script img

Widder, Aszendent Schütze

Anmerkungen zu Harry Rowohlts und Ralf Sotschecks „In Schlucken-zwei-Spechte“

Schon Tage vorher hatte ich mich in Angst gewälzt wie ein Haddockfilet in Pannade

Bei Edition Tiamat wird in der kommenden Woche ein Buch erscheinen, dessen Inhaltsverzeichnis mich als Autor eines Vorworts ausweist: „In Schlucken-zwei-Spechte. Harry Rowohlt erzählt Ralf Sotscheck sein Leben von der Wiege bis zur Biege“. Das Buch braucht kein Vorwort und hat auch keins, denn alle Warnungen, die ich den Lesern mit auf den Weg geben möchte, sind an diesem externen Platz viel besser aufgehoben.

Es war einer dieser berüchtigten „S-Days“, zu denen Ralf Sotscheck mit seiner harmlos klingenden Stimme geladen hatte. Schon Tage vorher hatte ich mich in Angst gewälzt wie ein Haddockfilet in Pannade: Ohne einen Auftrag würde ich bei aller habituellen Arbeitsscheu wieder einmal nicht davonkommen. So geschah es: Ein paar Getränke, ein paar freundliche Worte, und ich war schanghait, zum Vorwortschreiben. In der Folge erhielt ich Elektropöste dieser Art: „Schreib, dass Harry und ich im Juli 2001 sieben Tage und Nächte in Westirland waren und alles aufgenommen haben. Schreib aber auf gar keinen Fall, dass ich vor kurzem Silberhochzeit hatte. Silberhochzeit klingt so spießig! Erwähn doch lieber, dass Harry, Klaus Bittermann und ich alle drei Sternzeichen Widder mit Aszendent Schütze sind!“ Denn Ralf Sotscheck liebt es, seine Mitmenschen zu vernatzen, ihnen Fallen zu stellen und sich bäuchleinreibend an ihren anschließenden Blamagen zu ergötzen. In Irland, wo er lebt, nennt man das Humor. Das Damenterrain der Astrologie & Esoterik aber, auf dem er mich öffentlich ausgleiten sehen wollte, muss er selbst beackern.

Falls er Zeit dazu findet. Ein so quecksilbriger, gewiefter Rhetoriker ist Sotscheck, dass niemals Mangel herrscht an glutäugigen Damen, die sich dringend in seinem Schoß zusammenringeln wollen – was er jedoch brüsk zurückweist, denn der Mann hat zu tun: Im Hauptberuf lebt der Dämon und Duce des Durstes als Diener seiner beiden erwachsenen Kinder in Dublin. Bisher ist sein pädagogisches Deeskalationskonzept voll aufgegangen: Die rüstigen Mittzwanziger haben versprochen, so lange nicht Amok zu laufen, wie Sotscheck ihnen drei warme Mahlzeiten am Tag vor ihren Fernsehgeräten serviert. Einmal im Monat darf er sich von ihnen sogar seinen Wagen ausleihen.

Gegen den hobbithaften, defensiven Charmeur Sotscheck wirkt Harry Rowohlt grimmig bis zur arnoschmidthaften Menschenfeindlichkeit. Rowohlts einzige Geliebte ist die Sprache, und diese Radikalität trägt ihm die Verehrung leidenschaftlicher Menschen ein: In Havanna entriss mir im September 1996 ein junger Kubaner meinen Rucksack, der neben meinem Pass auch Frank McCourts von Harry Rowohlt übersetzten Roman „Die Asche meiner Mutter“ und ein gesäßtaschentaugliches Langenscheidt-Universal-Wörterbuch Spanisch-Deutsch/ Deutsch-Spanisch enthielt. Voreilig verfluchte ich den Dieb, dankte ihm aber bald für eindringliche Erlebnisse in der nach Lysol riechenden deutschen Botschaft: Knotenwadige alte Männer in kurzen Hosen stolzierten neben ihren kubanischen Ausreisebräuten auf und ab, von denen einige sogar älter als 14 waren. Als ich Anstalten machte, mir das Warten auf neue Papiere mit einer Zigarette zu verkürzen, sprach mich ein kubanischer Hirte mit Superschwergewichtsboxerstatur in verblüffendem Honeckerdeutsch an: „Hier bird niii geraucht!“ Kurz vor dem Abflug zwei Tage später sah ich meinen Langfinger am Straßenrand sitzen und sich durch das Diebesgut hindurchbuchstabieren. Im Davonlaufen rief er mir beinahe akzentfrei zu: „Harry Rowohlt ist kein Blender wie Hans Wollschläger, sondern ein großer Übersetzer. Aus einem mäßigen Roman hat er ein Klassebuch gemacht.“

Auch die Freuden der Wortschatzerweiterung verdanke ich Harry Rowohlt. Wie ich von Jörg Schröder lernte, dass man die Menschheitsgeißel Analverkehr „Spinatstich“ nennen kann, wenn man das denn möchte, so machte auch Harry Rowohlt mich zu einem verbal reiferen, besseren Menschen. Nachdem er, Bernd Rauschenbach und ich in Heidelberg siebeneinhalb Stunden lang Wenedikt Jerofejews „Die Reise nach Petuschki“ vorgelesen hatten, war ich mit meiner Freundin Lilly Oberhollenzer abgezogen. Anderntags hatten Rowohlt und ich wieder einen gemeinsamen Auftritt, als Teilnehmer an einer Benefiz-Lesung zugunsten des Hildesheimer Filmkünstlers Wenzel Storch. Um 20 Uhr im Pavillon in Hannover sollte es losgehen – Frau Oberhollenzer und ich nahmen einen späteren Zug als der disziplinierte Frühaufsteher respektive senile Bettflüchtling Harry Rowohlt. Der also ohne mich in die hannöversche Garderobe geschlürt kam; Gerhard Henschel, Organisator der Wenzel-Storch-Gala, wusste, dass wir am Vorabend gemeinsam gelesen hatten, und fragte etwas besorgt: „Und wann kommt Wiglaf?“ Worauf Harry Rowohlt, so erzählte es mir Gerhard Henschel am selben Abend sicher fünfzehnmal, seinen Löwenschädel wie seinen Bärenbass erhob und, für jedermann sehr verständlich, brummte: „Wichlaf kommt später. Der hat sich festgefickt.“ Der Wahrheitsgehalt dieser Worte ist dabei ganz unwichtig. Allein die Formulierung zählt – und die ist von spezifisch harryrowohltscher Schönheit und Kraft. Auch Frau Oberhollenzer hat damals sehr gelacht.

WIGLAF DROSTE

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen