: Ein Raum für Tiere
Rein subjektive Präsentation auf temporär im Fleet festgemachter Schute: Mark Dions „Biologische Forschungsstation Alster“ bringt Kunst, Naturwissenschaft und Schüler zusammenvon CHRISTIAN T. SCHÖN
Eine berühmte chinesische Enzyklopädie ordnet die Tiere wie folgt: a) Tiere, die dem Kaiser gehören, b) einbalsamierte Tiere, c) gezähmte Tiere, d) Milchschweine, e) Sirenen, f) Fabeltiere, g) herrenlose Hunde. Und so weiter. Diese Auflistung, zitiert vom argentinischen Schriftsteller Jorge Luis Borges, hat schon Michel Foucault zu seiner Ordnung der Dinge (1966) inspiriert. „Was unmöglich ist,“ heißt es dort, „ist nicht die Nachbarschaft der Dinge, sondern der Platz selbst, an dem sie nebeneinander treten können. Die Tiere können sich nie treffen, außer in der immateriellen Stimme, außer in der Ortlosigkeit der Sprache.“
Im Werk des Amerikanischen Künstlers Mark Dion spielt die biologische Taxonomie (Abstammungskunde) eine wesentliche Rolle. Dion stellt dieses vermeintlich objektive Repräsentationssystem in Frage. Für ihn ist Natur ein kulturelles Konstrukt, ebenso wie ihre Taxonomie, die bestimmten Ideologien unterliegt. Nicht umsonst nannte er 1993 eine Ausstellung im Hamburger Kunstverein Natural History and other Fictions.
In Hamburg stellt der 1961 in New Bedford (USA) geborene Künstler auch sein neuestes Kunstwerk vor, das auf Anregung der Galerie für Landschaftskunst entstand: eine zur „Biologischen Forschungsstation Alster“ umgebaute Schute, ein temporäres schwimmendes Grundstück am Bürostandort City. Einen Monat lang wird sie auf dem Herrengrabenfleet liegen und dann an die Außenalster geschleppt werden.
Auftakt des Projekts ist am Wochenende ein Symposium, das rund um das Thema „Alte und neue Vorstellungen von Natur in der Stadt“ KünstlerInnen und illustre ReferentInnen von der universitären Kunstgeschichte, Fischereiwissenschaft, Bodenkunde sowie von Wasserwerken und Stadtentwässerung versammelt. Im Gegensatz zu Dions bisherigen Arbeiten bildet dieses Forschungslabor (inklusive einer Sammlung von Fundstücken und Naturpräparaten aus der Alster) nicht das museale Endprodukt, sondern den Ausgangspunkt einer Veranstaltungs- und Ausstellungsreihe, die sich an Kunst- und Naturfans sowie an Schulklassen richtet und in deren Zentrum naturkundliche Führungen, Umweltbildung, Kunstkurse und -aktionen stehen. Für Till Krause von der Galerie für Landschaftskunst ist klar, dass sich alle Beteiligten in einer „Lernposition“ befinden: KünstlerInnen, die noch nie mit SchülerInnen gearbeitet haben; Biologen, die noch nie mit Kunst zu tun hatten; Schulklassen, die vielleicht noch nie mit moderner Kunst konfrontiert wurden.
Dions Arbeitsprinzipien – Sammeln, Betrachten, Sortieren, Analysieren – bieten dabei eine niedrigschwellige Annährerungen an Kunst und Umwelt in der Stadt. Und sie alle treffen in der „Wunderkammer“ Mark Dions zusammen. An den subjektiven Taxonomien dieser im 17./18. Jahrhundert üblichen Schauvitrinen orientieren sich Dions Installationen. Gläser mit Präparaten, Bildtafeln, Fundstücke, Texte, Spielzeug hat er zusammengetragen. Dion sieht sich als Feldforscher auf dem Gebiet der subjektiven Repräsentationssysteme – ein heute weitgehend durch chronologische Präsentation ersetztes Prinzip. In seiner Scala Naturae (1994) stellt Dion deshalb auf die unterste Stufe nicht Einzeller und Bakterien, sondern einen Wecker, die Zeit: die Taxonomie der Moderne.
Doch Dions komplexes und philosophisches Werk erschließt sich nicht von selbst, sondern wird durch unterhaltsame und lehrreiche Katalogkommentare befreundeter AutorInnen ergänzt. An von der Geschichte vergessene ForscherInnen wird da erinnert, wie etwa Alfred Russell Wallace, einem Miterfinder der Evolutionstheorie, oder an William Beebe (1877–1962), einen amerikanischen Naturforscher. Andere AutorInnen widmen sich dem unsichtbaren Tierleben im Beton-Dschungel der Stadt.
Ob die Schute jedoch einfach nur als Veranstaltungsraum dient, ist für die OrganisatorInnen Barbara Engelschall (Biologin), Till Krause (Künstler) und Hilmar Schäfer (Kulturwissenschaftler) noch genauso offen wie die Frage, inwieweit Erkenntnisse aus den interdisziplinären Veranstaltungen auf das Kunstwerk zurückwirken werden. Und, wer weiß, vielleicht findet Foucaults unmögliche räumliche Ordnung der Dinge ja doch einen (kleinen) Raum auf Mark Dions Forschungsstation.
Symposium in der Galerie für Landschaftskunst (Admiralitätsraße 71): Freitag, 31. Mai, 15–19 Uhr und Sonnabend, 1. Juni, 10–18 Uhr. – Eröffnung: Sonnabend, 19 Uhr, Herrengrabenfleet bei der Michaelisbrücke. Vom 13. Juli bis 30. September liegt die Forschungsstation am nordwestlichen Ufer der Außenalster (Harvestehuder Weg / Sophienterrasse) - Aktuelles Programm unter www.schute-hamburg.de
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