piwik no script img

Unschuldige Fassaden

■ Die Böttcherstraße zwischen touristischer Vermarktung, didaktisierten Originalen und der Gefahr, ein „Wallfahrtsort für Neonazis“ zu werden

Der Erbauer der Böttcherstraße, Bremens „heimlicher Hauptstraße“, war bekennender Nationalsozialist. In seinem Auftrag sollte Bernhard Hoetger ein „nordisches Bayreuth“ errichten (siehe untenstehenden Text). Ein Gespräch über die Darstellung der Vergangenheit mit Susanne Walther, der Geschäftsführerin der Böttcherstraßen GmbH, und Rainer Stamm. dem Leiter des Paula Modersohn-Becker Museums.

taz: Sie stecken in dem Dilemma, die Straße touristisch vermarkten zu müssen – und dafür ist die völkische Vergangenheit natürlich kein Werbeträger.

Susanne Walther: Die stört aber auch nicht. Nach dem Krieg ist die Böttcherstraße als Flanier- und Einkaufsmeile wieder aufgebaut worden – da ging es um Kunst und Kommerz, und nicht um Politik. Wir vermarkten das, was wir jetzt haben. Auf der anderen Seite war es für mich immer unbegreiflich, wie so etwas wie das „Dritte Reich“ entstehen konnte. So etwas aufzuarbeiten finde ich sehr interessant.

Arn Strohmeyers erste Veröffentlichung zum Thema ist bald schon zehn Jahre alt. Trotzdem beschränkt sich die öffentliche Darstellung der Böttcherstraße immer noch darauf, Roselius als „bedeutend und widersprüchlich“ zu bezeichnen. Und Bernhard Hoetger erscheint als Opfer der Nazis, weil er 1938 aus der Partei ausgeschlossen wurde.

Walther: Wenn wir die Böttcherstraße in relativ handlichem Format darstellen, können wir die Komplexität nicht hineinbringen. Diese Publikationen haben reinweg touristischen Charakter. Die Komplexität dieses Mannes, auch sein völkisches Denken, kann man nicht in kurzen Sätzen darstellen. Ich finde, man behandelt einen Menschen sehr ungerecht, wenn man nur einen Teil aus seiner Persönlichkeit herausnimmt und das dann auswälzt.

Aber genau diese Einseitigkeit gibt es doch in der bisherigen Darstellung, in der Roselius praktisch nur als Kunstförderer präsent ist.

Walther: Es wurden ja sehr viele Sachen weggelassen. Zum Beispiel auch die sozialen Aspekte und die Rolle, die seine wirtschaftlichen Verbindungen mit Kaffee HAG gespielt haben – das kriegt man nicht alles hinein. Aber wir werden jetzt versuchen, das einzubeziehen.

Auch damals schon haben wir Herrn Strohmeyer eingeladen, sein Buch über das Haus Atlantis im Himmelsaal vorzustellen. Wenn man Gelegenheit hat, die Geschichte ausführlich aufzuarbeiten, tun wir das. Unser Archiv hält keine Informationen hinterm Berg.

Zum 75-jährigen Jubiläum des Paula Modersohn-Becker Museums konnten wir jetzt das Buch „Marke und Mäzen“ herausgeben. Da hat dieser Komplex einen ganz breiten Raum, und zwar von mehreren Autoren.

Bisher ist Ludwig Roselius in Bremen als großer Mäzen präsent. Erwarten Sie Schwierigkeiten, wenn Sie an seinem Image kratzen?

Rainer Stamm: Wir haben ja den Vorteil, Roselius nicht gekannt zu haben – uns hat er nicht persönlich gefördert. Dadurch ist einiges einfacher geworden, zu analysieren und zu beschreiben.

Und wie war es früher?

Walther: Als die Sparkasse die Böttcherstraße gekauft hat, hatten die ganz andere Sorgen, als sich mit der Geschichte zu beschäftigen.

Das ist ja gerade der Punkt – dass sie es nicht getan hat. In der Zeit, als Herr Rebers dominiert hat, hätte das vielleicht schwierig werden können.

Walther: Von der Sparkasse gab es diesbezüglich nie eine Direktive.

Stamm: Wenn man sich heute das Heft „Ludwig Roselius und sein kulturelles Werk“ aus den 50er Jahren anschaut, dann liegen da natürlich schon Welten zwischen. Nach 1945 suchte man sozusagen die „unbefleckte“ Tradition der Moderne. Alles, was durch die Nazis verboten worden war, galt im Grunde als reingewaschen. Erst seit den 80er Jahren ist es möglich, die komplizierte Gemengelage zu analysieren – dass zum Beispiel Gropius im „Dritten Reich“ gerne Reichkunstwart geworden wäre, wenn man ihn gelassen hätte. Nolde war Nationalsozialist und wollte völkische, norddeutsch-expressive Kunst schaffen. Aber die Nazis haben sich gegen ihn entschieden.

Erst in den 80er Jahren hat man begriffen, dass das als „entartet“ verfemt Gewesene nicht automatisch das Nichtfaschistische ist. Insofern ist es kein Zufall, dass Strohmeyers Bücher erst in den letzten zehn Jahren erschienen sind. Erst jetzt wird darüber geforscht, wie der Klassizismus bei Mies van der Rohe eigentlich auch anders hätte gewertet werden können.

Die von ihm entworfenen Autobahntankstellen wurden im „Dritten Reich“ ja gebaut. Also: Um den Zwiespalt einiger Expressionisten zwischen völkischen Tendenzen und sehr moderner Ästhetik darzustellen, drängt sich die Böttcherstraße als exemplarischer Ort doch geradezu auf.

Stamm: Das sehe ich auch so. Mich verwundert, dass hier kaum Studentengruppen herkommen.

Walther: In unser Archiv kommen schon sehr viele Studenten. Aber das normale Publikum weiß ja zumeist nicht, wo sie irgendwelche Hintergründe erfahren können – dass es hier ein Archiv gibt, das täglich geöffnet hat. Da gibt es eine internationale Zeitungsausschnittssammlung seit 1920, Fotos, seit vier Jahren auch das HAG-Archiv. Das müssten wir tatsächlich offensiver verbreiten.

Das Phänomen ist ja: Wenn man durch die Straße geht, sieht man von der völkischen Geschichte nichts, und von den meisten FührerInnen hört man auch nichts darüber.

Walter: Das liegt unter anderem an der Kürze der Führungen. Hier laufen ja nicht nur Führerinnen der Bremer Touristik Zentrale durch, sondern auch viel Private. Da hören wir ganz viel Falsches – etwa, dass es eine mittelalterliche Straße sei.

Also müssten die StadtführerInnen mehr Schulungsangebote bekommen.

Walther: Letzten Endes haben wir keinen Einfluss darauf, was den Touristen erzählt wird. Aber jedes halbe Jahr bieten wir Schulungen an, in denen wir auch die Informationen über die völkischen Hintergründe offensiv nahe bringen.

Und das war früher auch schon so?

Walther: Das Archiv ist erst in den letzten fünf Jahren auf professionelle Beine gestellt worden. Vorher hatten wir keine entsprechenden Möglichkeiten. Denn unsere Hauptaufgabe ist natürlich die kaufmännische Verwaltung der Straße. Aber wenn ich selber Führungen mache, bin ich sehr dankbar für die Punkte, an denen die ambivalente Geschichte deutlich wird.

Stamm: Das Problem ist eben, dass es nur wenige Stellen gibt, wo das heute in der Straße sichtbar ist. Beim Wiederaufbau wurde eine „unschuldige“ Fassade für das Haus Atlantis gewählt.

Im „Himmelsaal“ von Haus Atlantis gab es die Widmung für den „deutschen Tatmenschen Adolf Hitler“. Heute könnte man per Broschüre, Internet-Auftritt oder Informationstafeln auf diese Dinge expliziter hinweisen.

Stamm: An der Fassade von „Haus Atlantis“ gab es die Verschmelzung germanophiler Gedanken mit christlichen Elementen und der Ausdruckskunst der zwanziger und dreißiger Jahre. Wenn wir diese Fassade noch hätten, wäre es viel einfacher, die Janushaftigkeit der Straße zu thematisieren. Die Spuren des Völkischen sind in der Kunstgeschichte deutlich belegbar, aber bis auf den „Lichtbringer“ ist nichts mehr davon vorhanden.

Generell bin ich nie für eine Didaktisierung von Originalen – die sollen selbst sprechen. Insofern macht es keinen Sinn, irgendwie vor der Straße ein Schild aufzustellen, auf dem steht: Die Geschichte der Straße ist folgende: ...“. Das haben die Nazis gemacht, als sie verlangt haben, in die Broschüre zur Böttcherstraße ein rotes Faltblatt einzulegen mit „Achtung! Es handelt sich um ein Zeugnis der Verfalls-Kunst.“

Also: Der „Lichtbringer“ ist das einzige Original, anhand dessen die ambivalente Geschichte dieser Straße erzählt werden kann – dort könnte man einen Hinweis platzieren.

Und sollte man das auch?

Stamm: Ich bin da leidenschaftslos. Ich hätte nichts dagegen, würde es aber auch nicht forcieren. Ich mag es lieber, wenn Erklärungen in andere Medien verschoben werden.

Walther: In dieser Straße müss-ten in der Tat sehr viele Informationen sein, um sie verständlich zu machen – man könnte sie komplett mit Schildern verbarrikadieren. Deswegen sind Broschüren als Informationsmedien besser. Und die sollen die Geschichte in Zukunft tatsächlich anders und komplexer darstellen. Wir denken auch darüber nach, die Schaukästen in der Passage zu überarbeiten.

Bei Informationstafeln sehe ich allerdings das Problem, dass die Wirkung auch umgekehrt sein könnte – indem die Böttcherstraße dann zu einem Wallfahrtsort für Neonazis würde. Für das Haus Atlantis hatten wir schon sehr problematische Anfragen.

Das heißt, rechtsextreme Gruppen wollten sich dort treffen?

Walther: Genau. Die haben das für ihre Zwecke wieder mit dem ganzen Hintergrund gefüllt.

Interview: Henning Bleyl

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen