: Biedermann und Bandana
Von Woodstock zum Café del Mar: Carlos Santana lärmte in Berlins Waldbühne entschlossen gegen den Regen an
Sein Konzert mit zwanzigminütigen Instrumentaleinlagen zu beginnen, das kann nur einer: Carlos Santana. Mit der langen Karriere scheint ihm eine gewisse Gleichgültigkeit eigen geworden, was Bühnenkonventionen angeht. Der Wettergott aber, mit dem sich Carlos Santana wohl, so ist zu vermuten, öfters mal zum vertraulichen Zwiegespräch trifft, war offenbar missgestimmt: Feiner Nieselregen legte einen feuchten Film über die Waldbühne in Berlin, wo der Gitarrero mit vielköpfigem Rockorchester ein Gastspiel gab. Und das spielte sich erst einmal warm, bevor – ja, bevor ein Akustikgitarrist, auf einem Stuhl sitzend, ein paar spanische Akkorde einstreute. Gähn.
Die knalligen Regenschirme und Windjacken, in die sich viele Zuhörer gehüllt hatten, verwandelten das Waldbühnenrund in einen bunten Flickenteppich, was vorteilhaft war, verlieh das Patchwork aus Rot, Gelb und Blau dem Publikum doch eine gewisse Farbigkeit, die ihm selbst nicht eigen war: Tatsächlich sprangen dessen gesetztes Alter und eine bemerkenswerte Biederkeit ins Auge. Immer, wenn der Kameramann ein paar junge Frauen im Publikum erspähte, die sich zaghaft zur Musik räkelten, hielt er für Sekunden das Bild fest, das dann auf die Leinwände am Bühnenrand vergrößert wurde. Das passierte nicht oft.
Ob sich der eine oder andere der schnauzbärtigen Familienväter zu Hause vor dem Spiegel noch heimlich ein Bandana-Stirnband anprobiert und den verwegenen Gedanken dann verworfen hatte, bevor er zum Konzert aufbrach? Sicher jedenfalls dürften eine Menge Leute schon auf Schulpartys zu „Samba Pa Ti“ ihren ersten Stehblues getanzt haben, als diese Platte gerade erschien. Das war 1970. Und nach diesen wilden Eskapaden haben sie sich dann, traut man dem Augenschein, für einer sichere Laufbahn im Versicherungswesen entschieden oder im Innendienst der Polizei.
Durch sein letztes Album „Supernatural“, das sich weltweit mehr als zehn Millionen Mal verkaufte, hat Carlos Santana spät noch einmal ein Massenpublikum gefunden, was sich auch am RTL-Werbebanner am Bühnenrand bemerkbar machte. Live allerdings hatte sein Auftritt den Charme einer „Rockpalast“-Aufzeichnung von vor 30 Jahren, mit statischer Präsentation und viel Leerlauf. Wechselnde Sänger mühten sich als Einheizer ab, doch erkennbar stachen nur Hits wie „Maria, Maria“ oder das rockige „Open Invitation“ aus der Funkrock-Phase der frühen Achtzigerjahre aus dem zähen Einheitsbrei heraus. Überfrachtet wirkte der Sound nicht zuletzt durch das opulente Percussion-Line-up, das mit Drums, Congas und anderem Schlagwerkzeug viel afrokubanisches Kunsthandwerk bot. Es wurde ausgiebig bejubelt, wie selbst ein langatmiges Solo vom Bass, dem denkbar uninteressantesten Solo-Instrument aller Zeiten. Nun ja.
Carlos Santana weiß Sehnsüchte nach romantischer Transzendenz noch immer zu bedienen, ist er doch für die Rockmusik das, was Hermann Hesse einst für die Literatur war. „Goldschnittsirup“ hat ein Kritiker einmal dessen Stil genannt, und irgendwie passt der Begriff auch auf das Gitarrenspiel von Carlos Santana: zuckrig und ein wenig manieriert, vertändelt es sich oft in Selbstverliebtheit. Dazu verschwammen auf der Leinwand bunte Farben wie in einem Strudel, und einmal flatterte gar eine weiße Taube auf: zeitloser Hippie-Kitsch, irgendwo zwischen Woodstock und Café del Mar.
Mit seiner noch vom ausgiebigen LSD-Genuss gefärbten Gedankenwelt wirkt Carlos Santana, aus dessen ärmellosem T-Shirt spindeldürre Ärmchen stachen und dessen Schlapphut eine rote Aids-Schleife zierte, eigentlich recht sympathisch aus der Zeit gefallen. Sein esoterischer Sermon aber wirkte in der Waldbühne eher fehl am Platz: Schon Nostradamus und die Bibel hätten gesagt, dies sei gegenwärtig die wichtigste Zeit in der Geschichte der Menschheit, verkündete er, Mauern müssten fallen und Spiritualität einziehen. Doch dazu wehten eben nicht, was passend gewesen wäre, Wolken von Marihuana, sondern Schwaden vom Wurststand über die Waldbühne. DANIEL BAX
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