piwik no script img

„Ich bin kein Möllemann“

Interview PATRIK SCHWARZ

taz: Ist Ihr Buch eine Exekution von Marcel Reich-Ranicki?

Martin Walser: Ich würde niemals ein Buch schreiben, das einer Exekution gewidmet ist, weil ich ohne Liebe nicht schreiben kann. Zwischen Kritiker und Autor gibt es natürlich eine sehr vielstimmige, vielfältige, vielfarbige Liebe – und der Kritiker in meinem Buch hat ein Verhältnis zu dem Schriftsteller, das ich zumindest als ambivalent bezeichnen möchte. Dieser Autor, meine Hauptfigur, gibt sich zeitweise der Illusion hin, dass er der engste Freund dieses Kritikers werden kann. Da steht so viel drin – und Sie haben jetzt natürlich nur diesen elenden Artikel! Solche Wörte wie Hass und Exekution würde ich nicht schreiben – da wäre ich lieber Gefängniswärter geworden.

Der FAZ -Herausgeber wirft Ihnen vor, Sie hätten einen Tabubruch beabsichtigt – und auf antisemitische Stereotype zurückgegriffen.

Das ist verrückt.

Er nennt eine ganze Reihe Belege.

Er sagt, es geht in meinem Roman um den Mord an einem Juden. Ich sage, ein Mord kommt überhaupt nicht vor, wie sich am Ende des Buches herausstellt, und es geht nicht um einen Juden, sondern um einen Kritiker.

Er wift Ihnen vor, mit Ihren Vokabeln und Bildern zurückzugreifen auf antisemitische Klischees. So attestieren Sie dem Kritiker „Herabsetzungslust“ und „Verneinungskraft“.

Es ist doch gar nichts Schlechtes, eine Herabsetzungslust zu haben. Das als etwas Jüdisches zu bezeichnen, halte ich für antisemitisch! Das hat man nur im Dritten Reich so gesagt, das ist Nazivokabular! Ich bin mit Herabsetzungslust und Verneinungskraft halb bewundernd, halb kritisch umgegangen. Herr Schirrmacher sagt, das seien jüdisch besetzte Wörter, dadurch ist er für mich antisemitisch.

Schirrmacher sieht das Bild vom „ewigen Juden“ bei Ihnen aufscheinen und zitiert: „Umgebracht zu werden passt doch nicht zu André Ehrl-König.“

Das sagt die Ehefrau des Kritikers über ihren gloriosen Mann, über diesen genialen Clown in einer von Party zu Party taumelnden Literaturbetriebsgesellschaft. Da schiebt Herr Schirrmacher schnell den Hintergrund Holocaust dazwischen und behauptet, ich hätte gesagt, Getötetwerden oder Überleben sei eine Charaktereigenschaft. Das ist ungeheuerlich!

Sie meinen, der Literaturkritiker Schirrmacher versteht Ihre Subtilität nicht?

Wenn man jeden Satz irgendeiner Konversation in irgendeinem Roman auf den Hintergrund Holocaust bezöge, dann gibt es nur noch grauenhafte Missverständnisse.

Warum sollte Herr Schirrmacher Ihnen etwas unterstellen?

Darüber kann ich schon nachdenken, aber ich komme auf keinen Grund. Vielleicht ist es etwas Saisonales?

Saisonal ist doch auch die Regelmäßigkeit, mit der Sie sich dem Verdacht des saloppen Umgangs mit der Vergangenheit aussetzen – angefangen bei der Bubis-Debatte.

Ignatz Bubis hat formell und schriftlich und mündlich den Vorwurf des latenten Antisemitismus zurückgenommen, er hat die geistige Brandstiftung zurückgenommen. Zurückgenommen! Wenn leichtfertige Medienmenschen das so weitertransportieren, als existiere der Vorwurf noch, dann kann ich mich damit nicht auseinander setzen.

Offenbar setzen Sie doch zumindest missverständliche Ideen in die Welt – und wollen hinterher nichts Böses gemeint haben. Ist Ihre Methode nicht die Methode Möllemann?

Mit Herrn Möllemann möchte ich nicht das Geringste zu tun haben. Ich bin kein Möllemann, ich bin Schriftsteller.

Herr Schirrmacher argumentiert, Sie versteckten sich hinter den Stilmitteln von Travestie und Kömodie, um Ihren Tabubruch zu tarnen.

Tarnen! Dass ich nicht lache! Da wäre ich gleich Anstreicher geworden! Ich will doch keinen Tabubruch – was soll denn das?!

Aber Sie karikieren Marcel Reich-Ranicki.

Ja klar. Aber mein Schriftsteller Hans Lach hat eine wahrhaft ambivalente Beziehung zu diesem Kritiker Ehrl-König. Ich kann überhaupt keine Bücher schreiben mit nur negativen Einstellungen. Da bin ich zu naiv.

Naivität haben Sie schon bei der Bubis-Debatte für sich reklamiert. Sie hätten Ihr privates Nachdenken vielleicht nicht auf öffentlicher Bühne vortragen sollen, sagten Sie. Ist es nicht reichlich naiv, sich schon wieder auf Ihre Naivität zu berufen?

Ich habe mich nicht auf Naivität berufen, sondern auf den Unterschied zwischen privat und öffentlich. Aber ich weiß ja schon, dass man alles, was ich sage, vorgeformt verstehen kann. Aber ich hätte vor fünf Tagen, vor drei Tagen nie, nie, nie daran gedacht, dass der Schirrmacher so etwas könnte. Er kennt meine Bücher – wenn Sie ein Romanschreiber sind, mit 15, 16, 17 Romanen, müsste sich das schon mal irgendwann bemerkbar gemacht haben, dass da etwas antisemitisch ist. Ein Autor kann sich nicht 15 Romane lang tarnen, das will er auch gar nicht! Ein Roman ist immer eine Gesamtoffenbarung der Person. Jetzt, weil ich dieses Thema genommen habe und weil es diese Saison ist, kommt diese Breitseite – und der Kerl vergisst alles, was er schon besser gewusst hat.

Aber Ihr Buch handelt von einer Mordfantasie – an einem Großkritiker mit Doppelnamen.

Nein! Es geht nicht um Mord. Es ist ein Buch über die Machtausübung im Literaturbetrieb zu Zeiten des Fernsehens – vom Standpunkt des Autors aus geschrieben.

Erleben Sie nicht gerade das Gegenteil? Herr Schirrmacher hat das Fernsehen nicht gebraucht, um Sie anzugreifen.

Er hat eine Exekution versucht. Aber wenn er zehn Jahre Polemiken schriebe, würde er nie den Effekt erzielen wie im Fernsehen. Natürlich wirkt der Showeffekt sich auch auf mich aus. Im „Literarischen Quartett“ sind ja auch Autoren exekutiert worden. Im „Literarischen Quartett“ erledigt zu werden war viel schlimmer als auf dem Papier.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen