: Original gegen Fotokopie
Beim heutigen Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft treffen in Frankreich lebende Senegalesen auf Franzosen, von denen die meisten im Ausland leben und viele aus Afrika stammen
aus Seoul RALF ITZEL
„Ich kenne die Straßen von Paris besser als die von Dakar“, sagt Khalilou Fadiga, „aber ich gebe mein Bestes für Senegal.“ Fadiga ist einer der Fußballer, die am heutigen Freitag (13.30 Uhr, ARD) ins Worldcup-Stadion von Seoul einlaufen werden. Das Eröffnungsspiel der Weltmeisterschaft ist vermutlich das kurioseste aller Zeiten: Franzosen, die im Ausland leben und arbeiten, treffen auf Senegalesen, die in Frankreich zu Hause sind. Einige kamen dort sogar zur Welt, während viele der Franzosen wiederum aus Afrika stammen. Senegal war bis 1960 französisch, und dieser Kolonialverbindung sowie den Regeln des modernen Fußball-Business entspringt die eigenartige Konstellation.
Spielmacher Fadiga wuchs im Pariser Viertel Barbès auf, nun lebt und kickt er in Auxerre. Von den 23 Senegalesen bei der WM verdienen nur die Ersatztorhüter ihre Brötchen nicht in der Première division: Einer hält in Marokko, der andere arbeitet als Einziger der Gruppe im Heimatland. Alle Senegalesen wollen nach Frankreich und dann – wenn möglich – noch höher hinaus in die reichen Ligen Deutschlands, Italiens, Spaniens oder Englands. Stürmer El Hadji Diouf von Racing Lens, achtfacher Torschütze in der Qualifikation, könnte es durch eine gute Weltmeisterschaft am ehesten schaffen.
Dem Franzosen Patrick Vieira ist der Sprung wie fast allen seiner Mannschaftskameraden schon geglückt, ihn können sich selbst renommierte Klubs wie Paris Saint Germain oder AS Monaco nicht mehr leisten, dafür wird er von Real Madrid begehrt. Der derzeit vermutlich beste defensive Mittelfeldspieler der Welt erblickte vor 25 Jahren in Senegals Hauptstadt Dakar das Licht Welt. Bis zu seinem siebten Lebensjahr lebte er dort in einem großen Haus, umringt von den Großeltern, der Mutter und sieben Onkeln und Tanten. Mit der Mutter und dem Bruder zog er dann an den Pariser Stadtrand, und weil er ein talentierter Kicker war, landete er ein paar Jahre später im Ausbildungszentrum des AS Cannes. Heute verdient er Millionen in London bei Arsenal. Die Fans lieben ihn und widmen ihm eine eigene Hymne: „Vieira“, singen sie nach der Melodie von „Volare“, „he comes from Senegal, he plays for Arsenal“. Nun Frankreich gegen sein Geburtsland zu vertreten ist für ihn „ein Glücksfall. Meine Eltern und meine Großeltern sind genauso erwartungsvoll wie ich. Das ist ein großartiges Ereignis für Senegal und ganz Afrika.“
Dieser Kontinent hängt vielen in Frankreichs Equipe am Herzen, nicht zuletzt aus dem Kolonialerbe schöpft sie ihre Stärke. Zinedine Zidane, wegen einer Verletzung heute nur Zuschauer, ist Sohn algerischer Einwanderer. Sein Vater fand den ersten Arbeitsplatz im Pariser Vorort Saint-Denis, nur einen weiten Abschlag entfernt von dem Ort, an dem heute das Stade de France steht, in dem Zinedine die Franzosen 1998 zum WM-Sieg köpfelte. Sein Klubkollege von Real Madrid, Claude Makelele, wurde in Kinshasa, der heutigen Demokratischen Republik Kongo, geboren. Kapitän Marcel Desailly kam in Accra, der Hauptstadt Ghanas, zur Welt und ist stolz darauf, mit Vieira der erste in Afrika geborene Weltmeister zu sein. 1999 reiste er mit dem WM-Pokal im Gepäck in die Heimat und wurde mit viel Brimborium vom Staatspräsidenten empfangen. Liberias großer Star George Weah und der Ghanaer Abedi Pelé, früher beim TSV 1860 München tätig, feierten auch mit. Desailly kam im Alter von vier Jahren nach Frankreich und entdeckte sein Ursprungsland erst kürzlich bei mehreren Reisen. Mit Abedi Pelé tauscht er regelmäßig Ideen aus, um Ghana zu helfen. Gerade fördert er den Bau einer Grundschule, und nach der aktiven Karriere will er sich noch mehr engagieren.
Wer sind also die Europäer und wer die Afrikaner in diesem Eröffnungsspiel? Die Grenzen sind fließend, den Unterschied werden vor allem die Farben der Trikots ausmachen. Und das Renommee der beiden Länder natürlich. Senegals Kapitän Aliou Cissé sagt es so: „Die Franzosen sind die Originale – und wir die Fotokopien.“
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