Scharf geschossen

Schriften zu Zeitschriften: Im Layout etwas overdressed, aber entschieden im Plädoyer für ein Kino, das gefährlich ist: die Filmzeitschrift „Revolver“, mit Österreich-Schwerpunkt im aktuellen Heft

von MANFRED HERMES

Im deutschen Film wurde unter „postmodern“ seinerzeit nur ein Rezeptvorschlag für ein Genrekino verstanden. Mit der Genrefizierung glaubte man eine Waffe mit doppelter Schlagkraft in der Hand zu haben: Sie ließ sich gegen einen vermeintlich selbstbezüglichen Autorenfilm richten, eignete sich aber außerdem für den Kampf um Wirksamkeit und Kommerzialität. Ersteres wurde erreicht, Letzteres bekanntlich nicht. Zwar glaubten seit den Achtzigerjahren alle an großes Kino, „wunderbare Bilder“ und die „Realität der Kinomythen“, aber von Leidenschaft, Pop und Unterhaltsamkeit wurde immer gerade dann gesprochen, wenn es besonders harmlos und ängstlich zuging oder gesellschaftliche Wirklichkeiten komplett verdrängt wurden.

Dieses Bild wurde auch dadurch nicht aufgehellt, dass in wichtigen Teilen des angloamerikanischen Films seit den Achtzigerjahren gerade das Gegenteil stattgefunden hatte: Erzählformen konnten, nicht zuletzt von minoritären Positionen aus, erneuert, bastardisiert oder geknackt werden und sich so für neue Sprachen, Themen und Transgressionen öffnen, von denen das deutsche Kino nur zu träumen wagt.

Dass man sich hierzulande lieber an dramaturgische Rezepturen und die entsprechende Erbauungsliteratur hielt, dabei aber jeden Sinn für inhaltliche Relevanz aus dem Auge verlor, musste auch eine ganze Generation von Filmern am eigenen Leib erfahren, die unter diesen Bedingungen Filmstudien absolvierten. Trotzdem hat sich die Situation inzwischen verändert. Der Autorenfilm ist rehabilitiert und eine Ästhetik des genauen Blicks und der Reduktion im deutschen Independent-Bereich wieder konsensfähig.

In diesem Rahmen ist Revolver aktiv, eine Halbjahreszeitschrift, deren Layout zwar etwas overdressed erscheint, die sich sonst aber nur wenige Zwänge auferlegt. Vier Münchner HFF-Studenten machen hier das, was sie am liebsten tun: sich mit Kino, dem Filmen und der Frage zu beschäftigen, wie es mit dem Film in Deutschland weitergehen könnte. Das kommt nicht ohne eine Reihe von „Do’s“ und „Dont’s“ aus. Der Revolver tritt als unmissverständliche Metapher an.

„Kino muss gefährlich sein“, „kompromisslose Geschichten“, „Echtheit und Ehrlichkeit“, „Lebensrelevanz“, „Nachvollziehbarkeit“, „glaubwürdige, wiedererkennbare Charaktere“, das sind so die Begriffe, mit denen scharf geschossen wird. Sympathisch ist das vor allem dann, wenn sich die Zeitschrift entschieden gegen ein Genrekino stellt, das in der Form einer zwang- und formelhaften Dürftigkeit gerade im deutschen Film großen Schaden angerichtet hat.

Wo Berührtsein und Mut gegen Berechnung, Echtheit und Vision gegen Konstruktion, Beobachtung gegen Nachahmung aufgestellt werden, da kann man annehmen, dass die gefeatureten Filme und Filmer die Voraussetzung erfüllen, im „Dickicht ausdrucksloser Ironie den Mut zu einem neuen Ernst“ (Christoph Hochhäusler) gefunden zu haben. Das sind nicht zuletzt „Meister“ des klassischen Zeitalters wie Antonioni, Visconti oder Rivette, für deren historische O-Texte in jeder Ausgabe etwas Platz freigehalten wird.

Ein Realismus, der sich als „Nähe zum Menschen“ versteht, zieht fast zwangsläufig das Interview als wichtige Form nach sich. Für Heft 4 wurde mit Peter Kubelka, den Redings, Wong Kar-Wai und Angela Schanelec gesprochen, in Heft 5 mit Jean Douchet und Harmony Korine, und es zeigt sich auf jeder Seite, dass Revolver der publizistische Arm von Filmpraktikern ist.

Da die Redaktion zudem als Gruppe auftritt, besteht ein Interesse an der Arbeit anderer Gruppen. In Heft 3 kamen die Leute von X-Filme ausführlich zu Wort. Die aktuelle Ausgabe 6 hat einen Österreich-Schwerpunkt, und es werden neben Michael Haneke vor allem „Coop 99“ interviewt, also Jessica Hausner („Lovely Rita“), Barbara Albert, Antonin Svoboda und Martin Gschlacht. Das ist ein Werkstattgespräch der besten Art; liebevoll, detailliert und insistent versucht Revolver vor allem einer Frage nachzugehen: Wie lassen sich im Filmbereich von einer ökonomisch schwachen Position aus filmästhetische Ansprüche durchsetzen? Die Antworten liefern einen Einblick in die Dynamik von Gruppenformationen, in denen, wenn es gut geht, Arbeits- zu Lebensbedingungen werden.

Revolver, Heft 6, über editiontext + kritik, 9 €, siehe auchwww.revolver-film.de