Eine eiserne Gewerkschaftsdame

Nicole Notat, zehn Jahre lang Chefin der französischen CFDT, vertrieb Kritiker und machte im Alleingang Verträge

Nicole Notat sieht gewöhnlich so aus, als ginge sie zum Fünf-Uhr-Tee. Aber an der Spitze der CFDT, der Gewerkschaft, die sie in den vergangenen zehn Jahren führte, kämpfte die Dame mit dem Seidenschal knallhart. Ihre Kritiker, die sie anfangs wegen ihres rechtsliberalen und undemokratischen Kurses ausbuhten und auf Kongressen in Minderheitenpositionen brachten, hat sie einen nach der anderen vor die Tür gedrängt. Die anderen französischen Gewerkschaften hat sie überrumpelt, indem sie im Alleingang tausende von Minderheitsabkommen mit den Patrons unterzeichnete. Und der Chef der rot-rosa-grünen Regierung hat übel genommen, dass sie die Beschäftigungspolitik seiner konservativen Vorgängerregierung rechtfertigt und mitgetragen hat.

Unter Notat ist die CFDT zur deutschesten aller französischen Gewerkschaften geworden. Sie gibt jetzt an, mehr als 800.000 Mitglieder zu haben. Wenn die Zahl stimmt, würde die CFDT zwar nur 4 Prozent der französischen Beschäftigten organisieren, wäre aber trotzdem die mitgliederstärkste Gewerkschaft. Bei Demonstrationen stellen CFDT-Mitglieder allenfalls einen kleinen Block. Auch Streiks sind ihre Sache nicht. 1995, als Frankreich drei Wochen lang von einer Protestbewegung gegen die Juppé-Reform (Verlängerung der Lebensarbeitszeit im öffentlichen Dienst und Einsparungen im Sozialbereich) gelähmt war, beteiligte sich die CFDT als einzige der fünf nationalen Gewerkschaftszentralen nicht an dem Streik. Notat unterstützte die Reform.

Ganze Branchenverbände und die Arbeitslosengruppen sind seither ausgetreten. Viele sind zu der neu gegründeten Gewerkschaft SUD gegangen, die jetzt die gespaltene Gewerkschaftslandschaft bereichert. An ihrer Stelle sind neue Mitglieder in die CFDT gekommen. Darunter viele leitende Angestellte und Mitarbeiter der privatisierten Bereiche des Gesundheitswesens.

Bei dem Machtkampf gegen die radikalen Gewerkschaftszentralen hat die CFDT von Notat in den vergangenen Jahren viele Pflöcke eingeschlagen. Unter anderem sitzt sie heute an der Spitze der paritätischen Gremien, die die Arbeitslosengelder und die Krankenkassen verwalten. Einen Durchmarsch hat sie auch bei den Verhandlungen über die 35-Stunden-Woche gemacht. In tausenden von Betrieben unterzeichnete sie Abkommen mit den Patrons – gegen den Willen der anderen Gerwerkschaften. Eine undemokratische Regel im französischen Recht macht das möglich. Viel Unmut zog sich die CFDT auch bei Arbeitslosen zu. Der Vertrag zur Rückkehr ins Arbeitsleben, den Notat ebenfalls im Alleingang mit den Patrons unterzeichnet hat, mutet Arbeitslosen jetzt zu, auch schlechter bezahlte und befristete Jobs anzunehmen.

Die 54-jährige Notat gibt heute die Führung der CFDT an den von ihr benannten Nachfolger, den 46-jährigen François Chérèque, ab. Statt an die Spitze des Europäischen Gewerkschaftsbundes zu gehen, was lange ihr Ziel war, wird Notat ein Unternehmen gründen. Die Unternehmer rufen ihr viel Lob hinterher. Und aus ihrer reformistischen Gewerkschaft sind die meisten Kritiker verschwunden. Aber der Machtkampf mit den radikalen Gewerkschaften ist in Frankreich, wo nicht einmal 10 Prozent der Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert sind, noch lange nicht entschieden.

DOROTHEA HAHN