: Deutsche leiden an Preisfühligkeit
Heute lädt Verbraucherministerin Künast Einzelhandel und Gastonomie zum Teuro-Gipfel. Ihr Ziel: „Konkrete Werkzeuge“ gegen Euro-Abzocke zu finden. Gleichzeitig wird die Kluft zwischen tatsächlichen und gefühlten Preisen immer deutlicher
von KATHARINA KOUFEN
Heute soll er stattfinden, der Anti-Teuro-Gipfel von Verbraucherministerin Renate Künast (Grüne). Der Erfolg des Vorhabens wird von allen Seiten angezweifelt, vor allem der Anspruch, ein „konkretes Werkzeug“ gegen die Preistreiberei zu finden.
Konkret wäre, die Selbstverpflichtung des deutschen Einzehandels für gescheitert zu erklären und Sanktionsmöglichkeiten einzuführen. Wie in Österreich: Dort können Kunden sich wegen gestiegener Preise beim Wirtschaftsministerium beschweren. Der beschuldigte Betrieb muss dann erklären, warum er die Preise erhöht hat. Als akzeptable Gründe gelten etwa höhere Lohnnebenkosten oder Energiekosten. Kann er das nicht, hat der Wirtschaftsminister die Möglichkeit, den Preis festzusetzen. In der Praxis sei es so weit jedoch nie gekommen, berichtet eine Sprecherin des Ministers: „Fast alle Fälle konnten direkt geklärt werden, in 70 bis 80 Fällen haben die Geschäfte ihre Preise auf Mahnung des Ministeriums wieder gesenkt.“ Aufreger Teuro? „Das hat es bei uns auch gegeben, aber die Gemüter haben sich wieder beruhigt.“
Ohnehin belegen immer neue Zahlen, dass der Euro nur ein gefühlter Teuro ist. Gestern bestätigte das Kölner Institut für Wirtschaft (IW), dass die „gefühlte Inflation“ deutlich über den offiziellen Teuerungswerten liegt. Offiziell liegt die Preissteigerungsrate bei 1,9 Prozent, subjektiv hingegen bei 4,8 Prozent. Das liegt zum einen daran, dass die Verbraucher Preissteigerungen stärker wahrnehmen als Senkungen. Zum anderen verzerrt es die Wahrnehmung, wenn gerade Basisnahrungsmittel wie Brot, Milch, Kartoffeln und Schokolade ordentlich teurer werden.
In dem Warenkorb, mit dem das Statistische Bundesamt die Preisentwicklung berechnet, befinden sich jedoch 750 Produkte. Lebensmittel, Tabak und andere Dinge, die man fast täglich kauft, machen in dem Korb nur 26 Prozent aus. Sie sind laut IW in den ersten drei Monaten um 2,5 Prozent teurer geworden. Miete, Heizung, Strom und Wasser, die durchweg billiger wurden, haben das gleiche Gewicht. Sie werden jedoch nur einmal im Monat oder noch seltener vom Konto abgebucht – was die meisten Menschen nicht so merken.
In einem Bereich werden höhere Preise besonders oft beklagt: in der Gastronomie. Das liegt nur zum Teil an höheren Fleisch-, Milch- und Gemüsepreisen, mit denen die Wirte sich rechtfertigen. Erstens sind, parallel zu den Verteuerungen, auch viele Agrarprodukte billiger geworden: Schweineschnitzel etwa um 6, Lauch um 25 Prozent. Doch gilt auch bei Nahrungsmitteln: Je höher der Grad der Verarbeitung, umso weniger beeinflussen teurere Rohstoffe den Endpreis. Wenn die Preise im Restaurant gestiegen sind, liegt das also vor allem an den Gastwirten.
Das Statistische Bundesamt allerdings sendet auch hier Entwarnung. Die durchschnittliche Steigerung in der Gastronomiebranche liege nur bei 3,7 Prozent. Dennoch hat die Zentrale Markt- und Preisberichtstelle ermittelt, pro „Verzehrfall“ gebe jeder Deutsche 10 Prozent mehr aus als vor der Euroumstellung. Das habe dazu geführt, dass die Häufigkeit, mit der die Deutschen ins Restaurant oder zur Imbissbude gehen, um 18 Prozent abgenommen habe. Und das, obwohl die Tiefkühlpizzapreise um 5 Prozent gestiegen sind!
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