Man stirbt nur zweimal

Die britische Satirezeitschrift „Punch“ erscheint nicht mehr. Es ist der zweite Tod seit 1841: Zuletzt leistete sich Mohamed Al Fayed, „Harrods“-Besitzer und Fast-Schwiegervater von Diana, das Blatt als Kampfansage an das britische Establishment

von RALF SOTSCHECK

Die Karikatur ziert bis heute fast jedes deutsche Schulgeschichtsbuch: Da klettert ein greiser Reichskanzler Bismarck das Fallreep hinunter, und über der Reling hängt höhnisch grinsend der frisch zum Kaiser gekrönte Wilhelm Zwo. „Dropping the Pilot“ (Der Lotse geht von Bord), hieß das Ganze treffend – und stand im Punch.

Nach 161 Jahren geht das einstige Satireblatt des britischen Establishments jetzt selbst unter: Der Punch wird eingestellt. Sein letzter Lotse Mohamed Al Fayed ist mit dem Establishment ohnehin überkreuz. Jetzt wurden dem Kaufhauskönig die Kosten zu hoch: Nur noch 6.000 Exemplare konnte das Blatt absetzen – die Kosten (in Euro) betrugen mehr als das Zehnfache. „Bei einem Geschäftsmann muss aber manchmal der Kopf über das Herz triumphieren“, ließ Al Fayed zum Ende verkünden.

Doch es ist nicht das erste Mal, dass der Punch pleite ist. 1992 stellte das Magazin sein Erscheinen ein, weil sich kaum noch jemand dafür interessierte. Vier Jahre später gab der ägyptische Geschäftsmann Al Fayed 16 Millionen Pfund aus, um das Blatt wiederzubeleben. Der Anreiz lag für ihn vor allem darin, dass er dem britischen Establishment nun einmal im Monat Zunder geben konnte. Die Parteizugehörigkeit seiner Opfer spielte dabei keine Rolle: Dem Premierminister Tony Blair warf er im Punch vor, Bestechungsgelder kassiert zu haben, der Tory-Opposition bescheinigte er, einen Schwächling als Parteichef und einen Gauner als Finanzexperten zu haben.

Al Fayed mag das britische Establishment nicht, weil man ihn trotz seines Reichtums nie akzeptiert hat. Als er und sein Bruder 1985 das weltberühmte Kaufhaus Harrods, eine britische Institution, erwarben, ging ein Aufschrei durchs Land. Das Ministerium für Handel und Industrie warf den beiden Ägyptern gar vor, „in unredlicher Weise ihre Herkunft, ihren Reichtum, ihre Geschäftsinteressen und ihre Geldquellen falsch dargestellt“ zu haben. Sogar ihre Geburtsurkunden seien gefälscht, hieß es. Der Bericht schloss mit dem Satz: „Lügen waren die Wahrheit, und die Wahrheit war eine Lüge.“ Und die britische Regierung verweigert Al Fayed bis heute die bei Geschäftsleuten seines Kalibers eigentlich problemlos übliche Einbürgerung.

Königs Schwiegerpapa

Als sich Mohamed Al Fayed dann auch noch in eine andere britische Institution, das Königshaus, hineindrängen wollte, war es um die Fassung der Nation vollends geschehen. Um ein Haar wäre Al Fayed Schwiegeropa des künftigen britischen Königs geworden. Sein Sohn Dodi war mit Prinzessin Diana liiert, die beiden wollten angeblich heiraten, doch dann starben sie 1997 bei einem Autounfall in Paris.

Ein persönliches Kampfblatt mochte er sich nun aber nicht mehr leisten, auch wegen der Enttäuschung, dass „die Begeisterung, mit der viele Menschen 1996 die Wiederkehr von Punch gefeiert haben, sich nicht in den Verkaufszahlen niederschlug“. Als Punch am 17. Juli 1841 zum ersten Mal – damals noch im wöchentlichen Rhythmus – erschien, kündigten es die Gründer Ebenezer Landells und Henry Mayhew als „Verteidiger der Unterdrückten und radikaler Stachel im Fleisch der Autorität“ an. Vorbild war die französische satirische Tageszeitung Charivari. Der erste Chefredakteur Mark Lemon der aussah wie Karl Marx und mit einem Wirtshaus bankrott gegangen war, löste das Versprechen der Radikalität zunächst ein; mit dem Aufstieg der Mittelklasse in den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts schlug man mildere Töne an. Die Redaktion arrangierte sich mit dem Establishment, die Witzchen sanken zuweilen auf Stammtischniveau bis hin zum blanken Rassismus. Iren wurden im Punch des späten 19. Jahrhunderts stets als Halbaffen dargestellt.

Die Mitarbeiter hatten jedoch ihren Spaß. Die Redaktionssitzungen, die in vornehmen Restaurants stattfanden, arteten stets in Gelage aus, was man der Qualität der Cartoons oft anmerkte. Erst 1969 führte der neue Chefredakteur William Davis konventionelle Sitzungen ein, die Dinners dienten fortan dazu, wichtige Gäste zu unterhalten.

1975, also mehr als 130 Jahre nach der Gründung der Zeitschrift, wurde zum ersten Mal eine Frau eingeladen: Ausgerechnet Margaret Thatcher, die spätere Premierministerin.

Enthüllungsstorys

Punch war nicht nur eine Satirezeitschrift, sondern druckte hin und wieder Enthüllungsstorys, was zu zahlreichen Verleumdungsprozessen führte. Zu den Klägern gehörten der Regisseur Stanley Kubrick, die BBC, die britische Regierung, eine internationale Bank und der stellvertretende Premierminister. Das Blatt berichtete unter anderem über Kokaingeschäfte in Londons berühmten Journalistentreffpunkt, dem Groucho Club, es untersuchte die dunklen Finanztransaktionen von Blairs engstem Berater Peter Mandelson, der zehn Monate später deshalb seinen Hut nehmen musste, und es druckte das erste Interview mit dem ehemaligen Staatssekretär Jonathan Aitken nach dessen Verurteilung wegen Meineids. Der Punch-Mitarbeiter, der mit ihm sprach, saß wegen bewaffneten Überfalls passenderweise im selben Gefängnis.

Und manche Punch-Beiträge könnte man auch heute immer noch unverändert nachdrucken. So hieß es 1852 über die britische Eisenbahn: „Wenn ein Passagier die Frechheit besitzt, sich bei einem der Angestellten über die Gründe für die vielen Reiseunterbrechungen zu erkundigen, so kann er froh sein, wenn er nichts Schlimmeres als heiseres Gelächter erntet.“