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„Wir sind eine Bananenrepublik“

Für einen Ortsverband sind sie zu wenig, für eine zünftige Skatrunde zu viele. Die Anhänger von Ronald Schill im Kreis Oberhavel wollen in den Bundestag, egal was ihr Vorsitzender dazu sagt – eine ernste Angelegenheit im Hinterzimmer des Gasthofs. Zu Besuch bei einer Krisensitzung in Velten

Ungestüme Sätze fallen viele, etwa: „Ein bisschen Diktatur wollen doch alle.“

aus Velten KIRSTEN KÜPPERS

Ronald Schill hat ein Problem. Er hat eine Partei gegründet und bei einer Wahl im letzten Herbst mit dieser Partei abgeräumt. Das war in Hamburg. Das Programm der Partei ist auf diese Stadt zugeschustert. Denn Schill wohnt in Hamburg. Und lange schon hatte er sich über die Junkies dort am Hauptbahnhof aufgeregt, über die Ausländer, den Filz in der Politik und dass die Verbrecher mit zu milden Strafen davonkommen. Der in seinem früheren Leben als „Richter Gnadenlos“ bekannt gewordene Schill hat nicht damit gerechnet, dass ihm nach der Wahl Menschen im ganzen Land plötzlich E-Mails und Briefe schreiben würden. Weil sie das gut finden, was Schill sagt, und dass einer mal offen ausspricht, was in Deutschland schief läuft. Die „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“, wie Schill seine Vereinigung genannt hat, soll es da, wo sie wohnen, auch geben, haben diese Leute in einer schönen Euphorie nach dem Wahlsieg erklärt. Und sind erst einmal eingetreten in die Schill-Partei.

Hier ist der Punkt, an dem die ganze Sache dem Hamburger Ronald Schill über den Kopf zu wachsen beginnt. Denn überall im Land sitzen nun versprengte Anhänger seiner Partei. Sie sitzen in Hinterzimmern von Dorfgaststätten und verkünden bei Bier und Spezi ihre Unzufriedenheit mit der Welt. Um eine Revolution zu machen, sind sie zu wenige, das hat im April die dramatische Schlappe der Partei bei der Wahl in Sachsen-Anhalt gezeigt. Sie sind zu viele, um sich in einer zünftigen Skatrunde aufzulösen. Sie sind zu aufgebracht, um nach Hause zu gehen und das Ganze einfach wieder zu vergessen. Das macht die Sache für Ronald Schill nicht besser. Manche neuen Mitglieder fangen jetzt an zu fragen, ob er überhaupt der richtige Vorsitzende für die Partei ist.

Zum Beispiel in Velten, Landkreis Oberhavel, rund 20 Kilometer nördlich von Berlin. Es ist Montagabend. 15 Männer sitzen im Versammlungsraum des nahe dem Bahnhof gelegenen Gasthofs, die meisten Vertreter der älteren Generation, gediegener Mittelstand: ein Polizeibeamter, ein Professor im Ruhestand, ein Arbeiter, ein Dozent für Bewerbungstraining. Sie sitzen mit verschränkten Armen und bösen Gesichtern am Tisch, vom lauen Sommer künden nur die kurzen Ärmel ihrer Freizeithemden.

Die Rechtsstaatliche Offensive hat zu einer „Informationsveranstaltung“ eingeladen; es ist das zweite Mal, dass so etwas in der Gegend stattfindet. 15 Mitglieder zählt die Schill-Partei in der Region, 30 bräuchte es, um einen Ortsverband zu gründen. Die Männer aus dem Kreis Oberhavel wollen bei der Bundestagswahl antreten, auch wenn der Parteivorsitzende Ronald Schill das ablehnt. Eine ernste Angelegenheit, die Männer im Gasthof sind dagegen. Sie sind zu wenige, sie sind zu alt, sie haben kein Programm, sie haben schlechte Laune, deswegen sind sie hier.

Das Wort ergreift der Professor, 66 Jahre alt, Wirtschaftsmathematiker, seit 43 Jahren mit derselben Frau verheiratet, wie er betont. Es könne doch nicht angehen, dass die 68er „auf den Kommandohöhen“ die Rechtsprechung „verwässern“, „die etablierten Parteien haben versagt“. Der Professor verfügt nicht über das Charisma eines Alleinunterhalters, er spricht langsam, in umständlichen Windungen, macht Pausen. Schwer legt sich seine Rede auf die Zuhörer, bis diese wie nach einer üppigen Mahlzeit satt und müde auf den Stühlen hängen. Erst als der Professor erklärt, dass man, nur weil man für Ordnung eintritt, noch lange nicht gleich rechts sei, schreckt einer am Tisch hoch: „Was ist denn daran so schlimm?“

Das ist das Stichwort für das Referat des Polizisten zum Thema innere Sicherheit: „Das Problem ist: Die Jugendlichen werden mit Samthandschuhen angefasst, sie denken, sie können tun und lassen, was sie wollen. Es kann nicht sein, dass Jugendliche Straftaten begehen en masse und dann in Urlaub geschickt werden in die Dominikanische Republik.“ Man fragt sich gerade, wo er das herhat mit der Dominikanischen Republik, da wedelt der Polizist mit einem Ausschnitt aus der Bild. „Jugendliche in sozialen Brennpunkten müssten – sach ick mal …“, er hat den Faden verloren, „äh … besser betreut werden.“ Die Kellnerin kommt und nimmt neue Getränkewünsche auf. Viele bestellen Kaffee.

Ein braun gebrannter Rentner, der sich vorstellt als „Hausbesitzer, der nicht will, dass das demoliert wird“, versucht wieder Schwung in die Diskussion zu bringen. „Sollten wir uns nicht besser in den Ortsverbänden der CDU organisieren?“, fragt er. „Ist es richtig, die rechtsstaatlichen Kräfte in einer neuen Partei zu zersplittern?“

Damit sticht er in ein Wespennest. Die Männer im Raum haben an diesem Abend noch nicht genug Dampf abgelassen über die Missstände in Deutschland, als dass sie jetzt schon wieder klein beigeben würden. Nein, jetzt geht es erst los damit, wo die herkömmliche Politik überall versagt habe: beim Euro, bei den Kitas, beim 1. Mai in Berlin, alle rufen durcheinander, nichts passt zusammen: die Pisa-Studie, die Abwanderung in Ostdeutschland, „wir leben in einer Bananenrepublik“, Renate Künast ist „eine Frau, die keine Ahnung hat“, „in Bayern sind die Asylanten höflich und gut gekleidet“. Alle sind plötzlich wieder wach. Die Kellnerin, die hilflos im lauten Gerede steht, wird angeblafft: „Schieb ab mit deinem Kaffee.“

Eine solche Energie muss man ausnutzen für die neue Schill-Partei im Kreis Oberhavel. Der Professor stützt den Kopf in die Hand, guckt lieb, wie ein Großvater fast, sagt: „Das ist eine Runde, die mir sehr gefällt.“ Er will es allen recht machen jetzt, will keine Fehler machen. Wenn so ein Sturm losbricht, besteht schließlich Gefahr, dass man mitgerissen wird in die Tirade, selbst zum Opfer der Beschimpfung wird. Kritische Stimmen gibt es im Raum genug.

Der braun gebrannte Hausbesitzer beklagt sich etwa, er hätte noch nichts vernommen, was die Leute in Oranienburg und Hohen Neuendorf hinterm Ofen vorlocken könnte. Wieso überhaupt so wenige Leute da wären, beschwert sich ein anderer; hier seien doch alle viel zu alt, um etwas zu bewegen, ein Dritter. Von dubiosen Machenschaften des Parteivorsitzenden Schill wollen die Männer hier im Raum auch schon gehört haben.

Der Professor beschwichtigt, vertröstet auf später, sagt Aufmunterndes. Das Umlenken gelingt mit der Anisemitismusdebatte: „Man springt doch aus dem Sessel vor Wut.“ Möllemann, Friedman, Walser und die Medien, das ist ein Thema, das hier alle aufregt, wo Kugelschreiber geräuschvoll fallen gelassen werden, Köpfe nicken, eine neue Welle der Empörung hochschwappt. „Wir werden doch von der Presse und der jüdischen Gemeinde bestimmt“, sagt einer. Sein Gegenüber fragt: „Haben Sie schon mal versucht, sich in der Türkei so aufzuführen wie die Türken hier?“ „Ein bisschen Diktatur wollen doch alle“, meint der Nächste. Sie haben alle Maßstäbe verloren jetzt.

Ungestüme Sätze schlittern umher, die Männer probieren sie für sich aus: „Die Lobbys regieren“, „Politiker bedienen sich am Staat“, „Ron Sommer und die Telekom sind auch schlimme Hunde“. Und als sei damit der große Ballon der Emotionen und verwaschenen Überzeugungen geplatzt, zerfließt das Gespräch bald in Untergrüppchen. Der Professor hat das nicht gewollt, ihm geht es um die Gründung eines Ortsverbandes, das hat er an diesem Abend oft gesagt, jetzt hört ihm keiner mehr zu. Als der Braungebrannte aufsteht, seine Jacke nimmt und geht, löst er eine Lawine aus.

In die allgemeine Aufbruchstimmung hinein sagt der Polizist noch, man könnte ja eine Fahrgemeinschaft zum nächsten Bundesparteitag am 22. Juni in Hamburg bilden, wo noch einmal über die Sache mit dem Antritt zur Bundestagswahl gesprochen wird. Ronald Schill wird es mit den Männern aus dem Kreis Oberhavel nicht leicht haben, denkt man sich. Zwei aus dem Publikum fragen nach einem Mitgliedsantrag. Das sind immer noch zu wenige für einen Ortsverband. Die meisten anderen Gäste sind schon weg. Im benachbarten Bundesland Mecklenburg-Vorpommern hat sich die Schill-Partei in der vergangenen Woche nur vier Wochen nach ihrer Gründung wieder aufgelöst.

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