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Lücken in der Ökokontrolle

Zu laxe Überprüfungen im Ökolandbau haben den Nitrofen-Skandal begünstigt. Selbst private Kontrollstellen fordern nun regelmäßige Untersuchungen der Bioprodukte im Labor. Ein neues Gesetz legt höhere Strafen für Schlamperei fest

von MARTIN WÜNDERLICH

Der Skandal um die Vergiftung von Ökogetreide mit dem illegalen Pflanzenschutzmittel Nitrofen könnte ohne offiziellen Schuldigen bleiben. Bisher ist zwar nicht abschließend geklärt, ob sich alle Beteiligten auf Schlamperei herausreden können. Fakt ist aber, dass die Getreideverschmutzung auch deshalb lange unentdeckt blieb, weil das Kontrollsystem beim Ökoanbau Lücken aufweist.

Biologisch wirtschaftende Unternehmen tragen generell selbst die Verantwortung für die Qualität ihrer Produkte. Sie müssen laut EU-Recht zudem eine der 22 in Deutschland zugelassenen privaten Kontrollstellen wählen. Die sollen die Verfahren und verwendeten Rohstoffe aller Ökounternehmen auf ihre ökologische Qualität hin kontrollieren. Dabei orientieren sie sich an den Richtlinien der EG-Ökoverordnung von 1993. Das gilt für alle Unternehmen, die ihre Produkte als „bio“ oder „öko“ kennzeichnen. Unabhängig davon, ob die Produkte zusätzlich die Plakette eines Ökolandbauverbandes tragen oder nicht. Mitgliedsunternehmen der Ökolandbauverbände wie „Demeter“ unterliegen allerdings härteren Richtlinien als das EU-Recht vorschreibt. Etwa 62 Prozent aller Ökobetriebe gehören dazu.

Die Kontrollstellen kontrollieren alle Ökounternehmen einmal im Jahr nach vorheriger Anmeldung. Bei zehn Prozent der Unternehmen führen die Kontrollstellen zudem unangemeldete Stichprobenkontrollen durch.

Das zentrale Problem an den EU-Mindestregelungen ist, dass sowohl die Biobetriebe als auch die Kontrollstellen erst bei einem vorhandenen Verdacht auf einen Verstoß gegen die EG-Regelung Ökoprodukte direkt testen müssen. Ohne diesen Verdacht sind die Kontrollstellen nur verpflichtet, die Bücher des Unternehmens zu sichten sowie Felder und Betriebsstätten zu „inspizieren“. Eine Untersuchung der Ökoerzeugnisse im Labor liegt bisher lediglich „im Ermessen der Kontrollstellen“, wie Richard Goederz, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Kontrollstellen, bedauert. Im Falle des Nitrofen-Skandals hatte die zuständige Kontrollstelle Grünstempel e. V. nach eigenen Angaben jedoch keine Hinweise, als sie die Halle am 4. April besichtigte. Das Getreide blieb daher ungetestet.

Einen Vorschlag, um diese Sicherheitslücke zu schließen, macht die Arbeitsgemeinschaft der Kontrollstellen. Der Verband fordert, die Produkte, die das Biosiegel des Verbraucherschutzministeriums tragen, als Regelfall in Labors auf verbotene Stoffe zu testen. Der dafür nötige zusätzliche fünf- bis sechsstellige Betrag soll ein neu einzurichtender Analysefonds des Ministeriums dafür bereitstellen. Bisher zahlen die betroffenen Unternehmen die Untersuchungen im Labor selbst.

Erste Verbesserungen des Kontrollsystems hat der Bundesrat am vergangenen Freitag bereits auf den Weg gebracht. Zudem müssen die Kontrollstellen bei geringeren Anzeichen auf Verstöße gegen die EG-Ökoverordnung als bisher die zuständige Behörde informieren. Im Fall Nitrofen hätte die heruntergesetzte Informationschwelle dazu führen können, „dass die Kontrollstellen schon früher Informationen weitergeleitet hätten“, so eine Sprecherin des Verbraucherschutzministeriums. Darüber hinaus werden die Informationen der Kontrollstellen zentral auf Bundesebene gebündelt. Verunreinigungsfälle sollen so schneller aufgeklärt werden, als es bisher durch die getrennte Datensammlung der Bundesländer möglich war.

Betrieben, die gegen die Ökoverordnung verstoßen, drohen jetzt sogar bis zu 30.000 Euro Geldbuße und bis zu einem Jahr Gefängnis. Diese Strafen ergänzen die bisherigen Sanktionsmöglichkeiten der Kontrollstellen, die von erweiterten Dokumentationspflichten und einer kostenpflichtigen Nachkontrolle bis zur Teilsperrung oder Gesamtsperrung des Betriebes reichen. In Zukunft wird Schlamperei somit härter bestraft.

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