Angst vorm wilden Kosovo
700 Roma demonstrieren in Bremerhaven gegen ihre bevorstehende Rückführung ins Kosovo, da die Albaner sie immer noch verfolgten. Die Innenministerkonferenz will dort dennoch heute einen Rückführungsplan beschließen
Sie drängen sich gegen ein Absperrgitter vor der Bremerhavener Marineoperationsschule und schreien Protest und Enttäuschung heraus. Auf dem Kasernengelände tagt die Innenministerkonferenz (IMK), durch einen hohen Zaun abgeschottet. Ein IMK-Thema ist die „Rückführung von Minderheiten in das Kosovo“. Betroffen wären davon neben Serben vor allem Roma.
700 Roma demonstrieren, allerdings in zwei Gruppen: „Wir wollen hier um Sympathie werben“, erklärt Jasar Demirov, Vorsitzender der Roma und Sinti Union. „Einige wollten die Einfahrt blockieren, das passt natürlich nicht zusammen.“ Auch der Polizei-Einsatzleiter kann nicht vermitteln – ihm wäre nur eine Versammlung lieber gewesen. So zieht ein Teil zur Stadthalle.
Schließlich wird eine Delegation der Roma und Sinti Union zu einem kurzen Gespräch mit Bremens Innensenator Kuno Böse (CDU) vorgelassen, der zurzeit der IMK vorsitzt. Jubel bricht aus unter den DemonstrantInnen aus Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hamburg und Bremen. In das Kosovo könnten sie unmöglich zurückkehren, sagen sie, weil Roma dort von den Albanern immer noch systematisch verfolgt und ermordet würden. Auch in den anderen Balkan-Staaten würden sie unterdrückt. Sie fordern deswegen die Anerkennung als staatenlose Flüchtlinge und ein dauerhaftes Bleiberecht.
Der 16-Jährige Azem Mustafa ist aus Emden gekommen. Als Zweijähriger floh er mit seiner Familie aus der Stadt Klina, als die Kosovo-Albaner zum ersten Mal aufbegehrten. Jetzt flatterte der Familie eine Ausweisung ins Haus. „Aber wo sollen wir hin?“, fragt der drahtige Junge mit großen schwarzen Augen. „Ich spreche kaum Albanisch und Romaneș, habe hier meinen Realschulabschluss gemacht“, sagt er. Eine Ausbildung durfte er als geduldeter Flüchtling trotzdem nicht beginnen. Nach dem Kosovo-Krieg kam auch sein Großvater nach Emden, der die Heimat eigentlich nie verlassen wollte. Albaner hätten sein Haus vor seinen Augen geplündert und abgebrannt, ihm dann mitgeteilt: „Hier ist kein Platz für Roma.“ Heute gebe es keine Roma mehr in der Stadt, sagt Azem. „Was ist denn eigentlich unser Land?“, fragt der Jugendliche. Das alte Dilemma: Schon die Flagge mit dem Wagenrad, die einige schwenken, weist die Roma als Nomaden ohne eigenen Staat aus. Azem hat gehört, wie ein paar Roma heute im Kosovo hausen: „Im Dorf Plemitin leben fünf oder sechs Familien in Zelten. Drumherum hält die Nato Wache.“ Einen Radius von fünf Kilometern um das Lager könnten die Bewohner nur im Konvoi unter Nato-Schutz verlassen.
An eine schnelle Besserung der Verhältnisse glaubt der Junge nicht: Ein im Kosovo gebliebener Onkel sei erst vor wenigen Wochen nachts von zwölf Albanern in seinem Haus überfallen und zusammengeschlagen worden. Er liege jetzt im Krankenhaus von Djakovice auf der Intensivstation.
Als die Delegation zurückkehrt, bringt sie nicht viel mit. „Senator Böse hat uns angehört“, sagt Demirov. Aber er hat auch klar gemacht, dass die Innenminister eine „geordnete Rückführung“ anstreben. Heute wollen sie einen entsprechenden Beschluss fassen. Wahrscheinlich wird darin auch eine gemeinsame Erkundungsmission der Länder ins Kosovo festgeschrieben, die sich ein eigenes Bild machen soll. Böses letzter Satz soll beruhigend klingen: „Wir schieben niemanden ins Ungewisse ab.“
Jan Kahlcke