: Kassenzahlen mies, Glaube ungebrochen
Schmidt präsentiert Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung, verspricht aber schwarze Zahlen bis Jahresende
BERLIN taz ■ Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) musste der Presse gestern ein neues Krankenkassendefizit präsentieren: Der gesetzlichen Krankenversicherung fehlen im ersten Quartal dieses Jahres 0,86 Milliarden Euro. Und das trotz der seit 2001 um 0,5 Prozent auf fast 14 Prozent gestiegenen Beiträge und des im März gezahlten Soli-Beitrags der Pharmaindustrie von 200 Millionen Euro.
Dennoch war Schmidt unverdrossen: Zum Jahresende, prophezeite sie, werden die Kassen wieder schwarze Zahlen schreiben, und Beitragserhöhungen wird es nicht geben. Die Tarifabschlüsse in der Industrie – im Schnitt plus 3,5 Prozent ab Juni –, die Rentenerhöhungen ab Juli sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld würden die Einnahmen der Kassen verbessern.
Das Arzneimittelsparpaket, ein Gesetzesbündel, das alle Beteiligte im Gesundheitssystem zu Sparmaßnahmen bewegen sollte, komme – zugegeben: später als gedacht – „erst in der zweiten Jahreshälfte voll zum Wirken“, so Schmidt. So werden die Computerprogramme, mit denen die „Aut-idem-Regelung“ umgesetzt werden kann, gegenwärtig noch geschrieben.
Aut idem (lateinisch für „oder das Gleiche“) besagt, dass Patienten künftig einen Wirkstoff und keine bestimmte Pille mehr verschrieben bekommen. Ärzte und Apotheker sollen nicht mehr das neue, teure Medikament, das ihnen die Pharmaindustrie gerade empfohlen hat, sondern eines aus dem unteren Preisdrittel auswählen. Zu Schmidts glücklichem Erstaunen hat die Pharmaindustrie jüngst angekündigt, die Preise für einige Mittel zu senken, damit sie in das untere Preisdrittel fallen.
Kummer bereitet der Ministerin die stetige Abwanderung von Gutverdienern in die private Krankenversicherung. Ein Minus von einer Milliarde Euro hat die Flucht von 213.000 Wohlhabenden aus der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2001 verursacht. Diesen „Trend zur Entsolidarisierung“, so Schmidt, wolle sie bei einer Gesundheitsreform 2003 mildern, indem sie die Versicherungspflichtgrenze für Lohnabhängige anhebt. Beamte und Selbstständige seien nicht betroffen.
Die großen Kassen haben auch nach wie vor das Problem, dass junge, gesunde Menschen in die kleineren Betriebskassen mit ihren niedrigeren Sätzen abwandern. 330.000 neue Mitglieder verzeichnen die BKKen, seitdem zu Beginn dieses Jahres der Krankenkassenwechsel erleichtert wurde: Zwar ein herber Verlust, aber immerhin hat sich die Abwanderung verstetigt und wird so berechenbarer.
Die Opposition reagierte auf Schmidts Zahlen mit einer dramatischen Aufforderung: Horst Seehofer (CSU), Vizefraktionschef der Union und Exgesundheitsminister, sagte, um die „Katastrophe der gesetzlichen Krankenversicherung abzuwenden“, müsse die „konzertierte Aktion im Gesundheitswesen“ wieder einberufen werden, ein alle Gruppen übergreifendes Bündnis für Gesundheitspolitik. Schmidt dazu: „Das ist ein Scheinangebot“ – entsprechende Einladungen seitens der Ministerin habe die Union bislang stets abgelehnt. UWI
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