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Grob-Montage einer Großstadt

Thomas Schadt hat den Stummfilm-Klassiker „Berlin – Sinfonie einer Großstadt“ neu gedreht. Herausgekommen ist ein antiquiert wirkendes Remake des einstigen Avantgardefilms

Bildliche Assoziationen – eher billige Pointen als erhellende Verknüpfungen

1927 drehte der Regisseur Walter Ruttmann mit „Berlin – Sinfonie einer Großstadt“ einen Klassiker des deutschen Films. Eine einzige grobe Montage, mit der die Stadt dargestellt werden sollte, zwar chronologisch vom Morgen bis zum nächsten Morgengrauen erzählt, aber ansonsten ohne Handlung, assoziativ zusammengestellt.

Die Dinge waren Walter Ruttmann wichtiger als die Menschen, „Berlin“ war eines der ersten Werke im Stil der „Neuen Sachlichkeit“, und er feierte die Moderne, die Maschinen, Autos, Züge und ihre nervöse Schnelligkeit.

Der Film besteht zwar fast nur aus statischen Bildern – die sind aber so rasant aneinander geschnitten, dass ganz kluge Filmtheoretiker hier schon den Anfang der „MTV-Ãsthetik“ gesetzt haben.

75 Jahre später versucht sich der Dokumentarfilmer Thomas Schadt nun an einem Remake des Stummfilms mit musikalischer Partitur. Die Stilmittel sind die gleichen: Schwarz-weiß-Bilder, eine fast gänzlich unbewegliche Kamera, assoziative Montage und dazu wieder eine eigens komponierte Musik: Diesmal von Iris ter Schiphorst und Helmut Oehring, die einen sperrigen, zwischen Neuer Musik und akustischen Pointen pendelnden Soundtrack produzierten.

Aber der Rhythmus ist ein ganz anderer, gerade weil Ruttmanns rasender Schnitt inzwischen zur Stilnorm geworden ist. Also zeigt uns Schadt das Berlin von heute in eher langen Einstellungen: einen Querschnitt, in 100 Tagen gedreht, mit ausgesucht schön komponierten Bildern (Schadt selbst stand hinter der Kamera), – der immer interessant ist, aber mit der Zeit dann doch durch seine Beliebigkeit ermüdet.

Dabei ist die Fülle und Vielfalt des Materials beieindruckend. In Fabriken, bei Parties, im Reichstag, bei einer Demo in Kreuzberg, im Arbeitsamt und im VIP-Bereich eines glamourösen Events: Schadt war mit seiner Kamera dabei und fing auch meist sehr plastisch (wie ein guter Fotograf) die Stimmung des Ortes und der Menschen ein.

Allerdings: Bei der Montage hapert es deutlich. Im Schneideraum war der Regisseur längst nicht so virtuos wie am Kamerasucher, die Bilder finden bei ihm nie so recht zueinander und die Assoziationen sind oft überdeutlich. So folgen auf Bilder einer Suppenküche für Obdachlose die Köstlichkeiten auf einem feudalen Büfett, so kommen nach Bildern von einem Verkehrsunfall mit ausgebranntem Auto auch noch die Ansichten von einem Schrottplatz.

Auch die bildlichen Assoziationen sind eher billige Pointen als erhellende Verknüpfungen: Die Bewegung eines fliegenden Tennisballs (natürlich mit den komischen köpfeschwenkenden Turnierzuschauern) verwandelt sich in die ruckartige Geste eines Sprechers vor dem Bundestag. Ja, es passt, aber was soll‘s.

Nur wenige Bilder bleiben im Gedächtnis. Zum Beispiel eine Einstellung von Bundeskanzler Schröder, der mechanisch einer Reihe von Scheichs die Hände schüttelt: Das ist eine schöne Miniatur über den Leerlauf des Machtapparates, die eitlen Blicke der reichen Damen bei einer Modenschau sind auch sehr enthüllend.

Die sinfonische Musik hingegen ist gewöhnungsbedürftig, und hier merkt man die Anstrengung, Filmkunst zu machen und dem Vorbild nachzueifern am deutlichsten. Geklaut hat Schadt ironischerweise aber ganz woanders: Er beginnt und beendet seinen Film mit Bildern von einem Feuerwerk: in Schwarz-weiß, vor grandioser Kulisse, stumm, mit hymnischer Musik unterlegt. Genauso feierte Woody Allen vor nun auch schon 23 Jahren sein „Manhattan“. Also: Ruttmans Film war Avantgarde, Schadts Nachempfindung wirkt dagegen fast antiquarisch.

Wilfried Hippen

„Berlin - Sinfonie einer Großstadt“ von Thomas Schadt läuft heute und morgen um 18.30 Uhr sowie Montag und Dienstag um 20.30 Uhr im Kino 46. Am nächsten Freitag (14.6., 20.30 Uhr ) gibt‘s dort auch Ruttmanns Stummfilm inklusive Klavierbegleitung von Ezzat Nashashibi

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