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Chronologie

Günter Wallraff hat sich schon immer mehr mit Opfern identifiziert als mit großen Helden. Wenn alle Kinder sich zu Karneval als Cowboy verkleideten, war er stets Indianer. Ein großes Idol seiner Kindheit war Till Eulenspiegel. Dass der seine subversiven Späße bisweilen auch auf Kosten von Schwächeren trieb, begann Wallraff erst viel später zu stören.

Am 1. Oktober 1942 wurde Günter Wallraff in Burscheid bei Köln geboren. Sein Vater war Arbeiter bei Ford und später aus gesundheitlichen Gründen Angestellter. Seine Mutter stammt aus einer südfranzösischen Hugenottenfamilie. 1962 schloss Wallraff seine Lehre als Buchhändler ab. Bereits damals schrieb er Gedichte. Seine Texte ließ er Heinrich Böll zukommen, mit dessen Neffen er befreundet war.

Auch während seines unfreiwillig geleisteten Wehrdiensts (er hatte den Antrag auf Verweigerung zu spät abgegeben), hielt Wallraff den Kontakt zu dem späteren Literaturnobelpreisträger. Böll ermutigte ihn, seine Tagebücher aus der Bundeswehr zu veröffentlichen. Von 1964 bis 1965 arbeitete er in fünf verschiedenen Industriebetrieben – und hatte danach den Stoff zusammen für seinen ersten Reportageband Wir brauchen dich. Als Arbeiter in deutschen Industriebetrieben.

Sein Freund Alf Breull brachte ihn schließlich auf die Idee, sich bei Bild einzuschleichen. Und so wurde Günter Wallraff zu Hans Esser, einem Jungmanagertyp, wie er selbst ihn immer gehasst hatte. Breull hatte damals gerade aufgehört bei Bild und schlug Hans Esser als seinen Nachfolger in der Redaktion Hannover vor. Vom 7. März bis 1. Juli 1977 arbeitete Wallraff unerkannt in der Lokalredaktion, fälschte Geschichten, drehte sie Bild-gerecht – und veröffentlichte noch im selben Jahr das Buch Der Aufmacher. Der Mann, der bei „Bild“ Hans Esser war.

Im Axel Springer Verlag war man entsetzt, setzte Spitzel auf Wallraff an, die dessen Privatleben ausforschen sollten – und klagte gegen Wallraff. Der musste einige Passagen aus dem „Aufmacher“ streichen – das Buch jedoch durfte weiterverbreitet werden. Wichtig war das Urteil des Bundesgerichtshofs, der zwar Wallraffs Einschleicherei rügte, die Veröffentlichung jedoch billigte, da sie „Fehlentwicklungen eines Journalismus“ aufzeige.

Wallraff gründete 1978 den Hilfsfonds Wenn Bild lügt, kämpft dagegen, um Bild-Geschädigten rechtlichen Beistand zu verschaffen. Über die Erfahrungen dieser Opfer berichtet er in dem Buch Zeugen der Anklage. Die „Bild“beschreibung wird fortgesetzt (1979). Komplett wurde die Trilogie mit Das Bild-Handbuch: Bild-Störung (1981), in dem Wallraff unter anderem eine Chronologie des Springer Verlags vorlegt.

Den Bild-Gründer Axel Cäsar Springer hat Günter Wallraff nie kennen gelernt. Bei einem der berühmten „Spaziergänge“, die Ben Witter einst mit Prominenten für die Zeit unternahm, gab Springer von sich: Er leide täglich „wie ein Hund“, wenn er Bild lese. Und: Er sei bereit, mit jedem Gegner zu diskutieren. Mit Günter Wallraff könne es anfangen. Der nahm das Angebot ernst und bat Springer schriftlich um einen Termin. Der Verleger ließ ausrichten, ein Gespräch könne stattfinden – sobald Wallraff sich von seinen Arbeitsmethoden distanziert habe. Worauf der antwortete, dass sich auch Springer von den Seinigen distanzieren müsse. Bis zum Tode Axel Springers 1985 hat Wallraff vergeblich auf eine Antwort gewartet. ALEXANDER KÜHN

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