fernöstlicher diwan
: Wenn der Holle nebenan den verbotenen Stoff liefert

Lernstunden im Zonenrandgebiet

Jetzt ist ja die schönste WM-Zeit angebrochen. Wenn man alle Elfen ein zweites Mal sieht und so herrlich schön streiten, staunen und spekulieren darf, ob Portugal und Frankreich wirklich schwach sind oder die Amis stark, was Brasilien oder Dänemark wirklich draufhaben. Kann der Koreaner noch mehr? Ist Italien tatsächlich so gut? Und dazu all diese Wenn-dann-Betrachtungen bei jeder vergebenen Torchance, die Blitztabelle immer im Kopf.

Sagte ich alle Mannschaften? Und: Sehen? Wer sieht schon alle, außer den Außenseitern mit Premiere-Abo oder Liebhabern morgendlicher Kneipenstimmung um 8 Uhr 30? Es gibt die sonstigen Allesseher, die in unserem armen Land der Ahnungslosen als glückliche Menschen in Zonenrandgebieten leben, gleich neben jenen Völkern, die tapfer dem Kirch-Joch widerstanden haben. Dort ist das wichtigste WM-Requisit ein antiquarisch anmutendes Drahtgestänge. Man sagt dazu, Ältere werden sich erinnern, Zimmerantenne.

BERND MÜLLENDERS WM

Mein Spieler: Robbie Keane – danke.

Mein Team: Belgien – schönste scharlachorangene Trikotagen umhüllen überzeugend unsmarte Gesellen (Verheyen!)

Mein Weltmeister: Belgien – weil meine Mutter (82), als schlesischer Kriegsflüchtling 1945 für 3 Monate in Eupen gestrandet, in später Dankbarkeit sagt: „Die sollen ruhig mal.“

Beispiel Aachen, die exquisit größte deutsche Seitenenklave in Zeiten der Fußballprohibition: Tipps werden heiß gehandelt. Nederland 2 sende live, flüstern einem zwielichtige Gestalten auf der Straße zu; einer behauptete schon vergangenen Samstag, er habe die illegale Droge Irland -Kamerun gesehen. Der andere Nachbar Belgien, raunen Kenner, das beneidenswerte Land ohne Pay-TV, zeige wirklich alles, sogar Tore statt Standbildchenmethadon. Von BRTF ist die Rede, französischsprachiges Programm. Bei manchen, heißt es, komme Belgien auch glatt durchs Kabel. Ansonsten wird von Spezialantennen gemunkelt, die auf Roermond zu richten seien. Oder: Aufs Dach kraxeln, die Satellitenschüssel drehen und nach Möglichkeit nicht runterfallen.

Lieber in den Keller. Und da findet sich das alte Drahtgestänge aus Fernsehens Steinzeit noch, halb verrostet, über ein Jahrzehnt vergessen. Anschließen. Nur Schnee. Ist das Ding kaputt? Hoch unters Dach. Der Schnee kriegt Schemen. Ist das Benelux-Schnee? Ins andere Zimmer (Westlage, Roermond!). Da! Die Schemen rennen einer Kugel hinterher. Fußball! Paraguay, Südafrika, Dänemark – alles verbotene Ware bei ARD und ZDF. Spanien spielt: Der sensationelle Achselschweiß von Coach Camacho liegt wohl am hautsympathischen Nyltest, das er passend zur Empfangstechnik gewählt hat.

Nur mit Holland gucken wir WM. Und man lernt dabei – etwa dass Tor Doelpunt heißt, Torschütze Doelpuntmaker, warum Wisselspelers eingewechselt werden und dass abseits Buitenspel (also Außenspiel) ist. Nur corner bliebe corner, wenn es im Deutschen nicht Ecke hieße und penalty penalty, wenn der bei uns nicht auf Elfer hörte. Ob es bei den NL-Sprechern auch eine faßbenderhafte und mohrenöse Phraseologie (Mohren im Eröffnungsspiel: „Das Spiel ruht jetzt in sich selbst“) gibt, bleibt durch die Gnade subperfekter Sprachkenntnisse unklar. Genauso wie die Frage, warum Kirch nicht die Rechte an diesen Phrasenmaschinen kauft und sie auf ewig verschlüsselt. Das wäre eine Erlösung und die Rettung seines Firmenimperiums. Verdienstkreuze gäbe es dazu.

Übrigens, ihr Deutschlandselektivgucker, die ihr tagelang pausenlos mit dem vollgenetzerten Zeitmordmarathon zum Völler-Elftett gequält werdet, es ist eine wunderbare WM. Auch aus der berühmten deutschen Sicht: Wenn es stimmt, dass man ein Fußballspiel erst etwa ab 10 Jahren ernsthaft wahr nimmt, dann ist diese WM für alle Deutschen Ü 30 die erste ohne Lothar Matthäus. Seit 1982 war der ewigste Fußballer pausenlos dabei gewesen. Eine loddafreie Erst-WM muss ein besonderes Gefühl sein.

Schön indes, dass Loddas Geist allgegenwärtig bleibt. Er sprach immer von Irländern statt Iren. Rudi Völler wiederholt es jetzt ebenso hartnäckig. Nach dem niedlichen 8:0 gegen die Saudiländer geht es für Loddas Enkel jetzt gegen die löwigen Kamerunländer. Das wird schön. Die WM ist schön. Die Welt wächst zusammen. Man lernt so viele fremde Länder kennen. Danke Niederlandeländerer, danke ihr Hollen, danke Irlandländer. Eure Deutschländer. BERND MÜLLENDER