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Jacques Chiracs Einheitsrepublik

Falls die Partei des Staatspräsidenten auch noch die Parlamentswahl gewinnt, kontrollieren Frankreichs Konservative alle wesentlichen Gremien

aus Paris DOROTHEA HAHN

Vergessen Sie die vielfarbige Linke. Frankreich wird jetzt uni, einfarbig. Und zwar blau. Wie die Einheitspartei UMP, die Staatspräsident Jacques Chirac und seine politischen Freunde im Mai aus der Taufe gehoben haben. Schon jetzt kontrollieren die Konservativen die Mehrheit der französischen Gemeinden, der Regionen, des Senats – die zweite parlamentarische Kammer –, des für die Rundfunk- und Fernsehkontrolle wichtigen staatlichen Organs CSA und des Verfassungsrates, der im Zweifelsfall Gesetze überprüft. Wenn sie bei den Parlamentswahlen auch noch die Mehrheit in der Nationalversammlung erobern, wird es in Frankreich kein politisches Gegengewicht mehr zu Chirac geben. Für bis zu fünf Jahre.

Der erste Durchgang der Parlamentswahlen findet morgen statt. Im zweiten Durchgang am kommenden Sonntag treten dann in jedem Wahlkreis noch die Kandidaten an, die mehr als 12,5 Prozent erreicht haben. Wer dann die meisten Stimmen hat, zieht ins Parlament ein. Nach Ansicht der Meinungsforscher wird es zu einem konservativen Durchmarsch kommen. Bloß ein paar konservative Wahlkämpfer warnen vor verfrühten Triumphgefühlen. Umfragen deuten darauf hin, dass die Konservativen mehr als zwei Drittel der 577 Sitze in der Nationalversammlung erobern können. Den Rest müssen sich die rot-rosa-grünen Linken – möglicherweise auch mehrere Abgeordnete der rechtsextremen Front National teilen.

„Geben Sie mir eine Mehrheit“, hat der 69-jährige Chirac diese Woche im Fernsehen seine Landsleute gebeten. Dann erklärte der Staatspräsident, der von seinen bisher sieben Jahren im Amt fünf Jahre lang mit einer rot-rosa-grünen Regierung kohabitieren musste, dass er jetzt eine „echte Mehrheit“ brauche, um jene Probleme zu lösen, die die Franzosen seiner Ansicht nach im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen beklagt haben. Gemeint ist der 21. April. Das war der Tag, an dem über fünf Millionen Franzosen für einen rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten stimmten, womit sie Jean-Marie Le Pen zum zweitstärksten Politiker des Landes machten – gleich nach Chirac.

Laut Verfassung ist Chirac der Präsident aller Franzosen. Das gilt umso mehr angesichts der besonderen Umstände der Wahl. Nachdem er am 21. April den bislang schlechtesten Schnitt eines scheidenden Präsidenten der Fünften Republik gemacht hatte, war sein Ergebnis in der Stichwahl mit 82 Prozent das unübertroffen beste. Dazu trugen wesentlich linke Wähler bei, die vor der Alternative standen, zwischen einem Rechtsextremen und einem Konservativen zu entscheiden. Sie verstanden ihre Stimmabgabe für Chirac als „Referendum für die Republik“.

Im Gegenzug erwarteten manche nach Chiracs Wiederwahl Zeichen der Öffnung gegenüber ihrem Lager. Die sind ausgeblieben. Stattdessen hat Chirac sein eigenes vielfältig gespaltenes politisches Lager in einen Wahlverein mit dem sinnigen Namen „Union für eine präsidentielle Mehrheit“ geholt, UMP. Und hat eine Übergangsregierung unter dem Provinzpolitiker Raffarin eingesetzt, die ihre einzige Aufgabe darin sah, Schaufensterpolitik für die Wahlen zu betreiben. Ihr Hauptthema war die „innere Sicherheit“. Der neue Innenminister teilte in den vergangenen vier Wochen Gummigeschosse an die Polizei aus, besuchte nächtens Kommissariate, gründete zusammen mit dem Präsidenten einen „Nationalen Sicherheitsrat“ und kündigte eine Aufstockung des Sicherheitsetats an. Vorausgesetzt, die Konservativen werden gewählt.

Für die sozialdemokratische PS war die Kohabitation – in dem Fall die Zusammenarbeit eines rechten Präsidenten mit einem linken Premierminister – jahrelang eine „schlechte Regierungsform“ und lähmend für Reformen. Noch im April entschuldigte der damalige Premier Jospin die Versäumnisse seiner Regierung damit, dass er wegen der Kohabitation nicht gekonnt habe, wie er wollte. Seit Jospins Niederlage und seinem Ausstieg aus der Politik haben seine Genossen in dieser Frage eine 180-Grad-Wende vollzogen: Führende PS-Politiker nennen die Kohabitation plötzlich besonders „demokratisch“. Die kohabitationsgeprüfte grüne Exministerin Voynet sagt, das zweiköpfige System sei „nicht das beste“. Aber allemal besser, als den Konservativen „alle Machtorte in diesem Land“ zu überlassen.

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