: Den Blues, nur schneller
Kein Kitsch, dafür Punk, wenn auch ohne die richtigen Frisuren: Die Musik der Band „Motörhead“ kommt ohne Widersprüche aus. Und verkörpert manchmal die ewige Mofajungs-Pubertät
von JAN MÖLLER
Leute, ihr könnt eigentlich gleich beim letzten Absatz weiterlesen. Das wäre am einfachsten. Und in der Einfachheit liegt ja eine große Würde, natürlich auch eine ewige Herausforderung. Motörhead sind der Beweis, sie arbeiten mit drei bis vier Bauklötzen, auf denen alles ruht. Sie tun einen satten Job in ihrem Sport, seit über 25 Jahren schon: mit einem stumpfen Dampfhammer-Schlagzeug-Sound und Gitarrenriffs, die nie länger sind als die Zeitspanne, in der man eine Bierflasche köpft.
Der Alte mit den Warzen im Gesicht singt dazu wie ein Gorilla auf Valium. Immer die Füße weit auseinander gestellt, immer das Mikrofon über Kopfhöhe. Von vorn bläst die Windmaschine. Vielleicht, weil das Leben ein Kampf ist, vielleicht, weil der Mann sonst einfach nur zu viel schwitzt. Vielleicht auch, weil die Bühne für ihn wie eine Harley ist. Obwohl: Lemmy fährt gar nicht Motorrad.
Motörhead tun, was sie tun müssen. Es gibt kaum eine Band, die so sehr auf der Stelle tritt, ohne stehen zu bleiben. Das neue Jahrtausend ist für Lemmy der „am meisten überschätzte Bullshit aller Zeiten“. In solch einem Gedanken liegt die Bescheidenheit, die Motörhead wie ein Energiefeld umgibt. Auch wenn Lemmys Sprüche eher das Gegenteil vermuten lassen. Hobbys? Hamster pellen und in Salz rollen. Gott? Das ist doch der Typ, der mal die Leadgitarre bei uns gespielt hat. Die perfekte Tourausstattung? Jede Menge Hochprozentiges, Cola, zwei Ziegen, ein Esel sowie ein ehemaliges und ein aktuelles Playboy-Häschen. Bruahahaha!
Motörhead verkörpern in manchen Momenten die ewige Mofajungs-Pubertät. Umso erstaunlicher ist es, wenn derselbe Typ, der gerne blöde Altherren-Zoten reißt, sich ebenso gern darüber empört, dass Frauen im Musikbusiness oft mit Urteilen wie „gar nicht schlecht für ein Mädchen“ abgefertigt werden. Und noch etwas, das paradox erscheinen mag: Lemmy, der Anti-Politiker und Geschichts-Freak, sammelt mit Begeisterung NS-Memorabilien.
Als der ehemalige Morbid Angel-Sänger David Vincent, ein knallharter Rechtsaußen, ihm mal ein Buch über US-Nazis überreichen wollte, soll er es jedoch zerrissen haben, um anschließend aus tiefster Überzeugung draufzupinkeln. Da passt es ins Bild, dass Kunden, die beim Internet-Warenhaus Amazon das aktuelle Motörhead-Album bestellt haben, auch die neuen CDs von den Böhsen Onkelz und dem „guten“ Moby gekauft haben.
Die Musik selbst ist allerdings frei von Widersprüchen. Motörhead stehen für die Abwesenheit von Kitsch. Sie spielen den Blues, nur tun sie es halt schneller. Sie spielen zugleich Punk, nur dass sie, wie Lemmy sagt, „einfach nicht die richtigen Frisuren“ dafür haben. AC/DC, die anderen unverrückbaren Steine des extrem lauten Rock‘n‘Roll, haben die Essenz ihres Schaffens mal wie folgt beschrieben: „Es ist ein bisschen wie bei Einstein. Er entwickelte eine äußerst komplizierte Theorie, die er auf diese unglaublich einfache Gleichung herunterbrechen konnte. Auf unsere eigene, bescheidene Art machen wir genau das. Das ist unsere Kunst.“ Es ist auch die proletarische Kunst von Motörhead. Was soll also das ganze Gequatsche. Eigentlich lässt sich dieser Artikel auf einzelne Worte herunterbrechen. Auf das Wort Hammered zum Beispiel. Das ist der Titel der neuen Platte, und er sagt schon alles, was über diese Musik zu sagen ist.
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