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Die kulturelle Prägung ertasten

Workshops, Gesprächsreihe, Aufführungen und Technomusik im Club – das Berliner Festival In Transit bietet Künstlern aus aller Welt unterschiedlichste Formen der Begegnung, Verständigung und des sich Verständlichmachens. Ein Blick auf die verschiedensten Formen der Übersetzungsarbeit

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Am Morgen begannen die Körper mit der Arbeit der Übersetzung. Im Workshop der Hoftänzerin Em Theay aus Kambodscha versuchten Tänzer aus Berlin, Musiker aus Nigeria, eine Choreografin aus Malaysia und eine Theatergruppe aus Beirut die basic movements des Hoftanzes zu erlernen. Am Nachmittag stellten die Kuratorinnen Greeta Kapur aus Indien und Catherine David polemisch die Frage nach der Politik, der Übersetzungen im Kulturbetrieb folgen. „Das Unübersetzbare ist Teil einer Geschichte des Widerstandes“, behauptet Geeta Kapur.

Am Abend dann erzählt Em Theay in ihrer Performance „The continuum: Beyond the Killing Fields“, wie die alte Form des Tanzes, den sie durch die Arbeitslager des Pol-Pot-Regimes gebracht hat, zu einer neuen Form der Erinnerung geworden ist. Das Unübersetzbare erhält einen Rahmen, der von der Geschichte seiner Widerständigkeit erzählen kann. Workshops, Gesprächsreihe, Aufführungen und ein später Abend im Club mit japanischen Dragqueens sind Teil des Festivals „In Transit“ im Haus der Kulturen der Welt in Berlin, für das der Kurator Ong Keng Sen über 150 Künstler eingeladen hat (vgl. Interview mit Ong Keng Sen, taz 27. 5.). An den ersten Tagen waren die Aufführungen ausverkauft, obwohl fast niemand die Namen der Künstler kannte, die oft das erste Mal in Europa auftreten. Das Zugpferd der ersten Festivaltage waren die Transvestiten „Bubu, Akira & Friends“ mit ihrem „Love Inferno“, die mit der Transformation zwischen den Kulturen Japans und des Westens gleich eine Umwandlung der Geschlechter verbanden. Bei so viel Mischung von Glamour, Clubatmosphäre, Themen der Gender- und Postcolonial-Studies erweckte Ong Keng Sens Programm auch Misstrauen, dem Hype des Hybriden zu folgen.

Doch das Bewusstsein über die Fallen des Transkulturellen ist eingebaut in das Programm. Wie ein Begleitsong zu „transnational corporations“ klingt das „transcultural“ zu oft in den Ohren von Geeta Kapur. Besonders stieß ihr in interkulturellen Pro

grammen ein Hang zum Transzendenten auf und eine Vernachlässigung der unterschiedlichen ökonomischen Voraussetzungen, der die Kunst, die jetzt für den Brückenschlag in Anspruch genommen wird, entsprungen ist. Ähnlich sah es Catherine David: Mit dem „Fremden“ befriedigten westliche Ausstellungsmacher oft eine „neoromantische Sehnsucht nach dem Antimodernen“. Das Nebeneinander der Projekte aus verschiedenen Kulturräumen neige zur Enthistorisierung. Verloren ginge im beschleunigten Transfer der Zeichen „die Fähigkeit, lange Perspektiven zu lesen“.

Wie eine Antwort auf den Wunsch, die Erfahrungsbrüche zwischen den Generationen mit in den Blick zu nehmen, wirkte das Theaterstück „The Continuum: Beyond the Killing Fields“. Em Theay trat mit ihrer Tochter auf, und im Video war die Enkelin zu sehen, der sie die Rolle des Riesen beigebracht hat. Ong Keng Sen ist auch Regisseur dieser „Doku-Performance“. Zusammen mit einer Übersetzerin und einer Videofilmerin hat das Team Lebensläufe unter den Roten Khmer recherchiert. Von den Künstlern, die am Hof aufgetreten waren, überlebten nur wenige die Arbeitslager des Pol-Pot-Regimes in den Siebzigerjahren. 300 Hoftänzer wurden hingerichtet. Em Theay zeigt die Tänze, die sie vor Soldaten aufführen musste, und singt die Lieder, mit denen sie Kinder zu trösten versuchte. Immer wieder werden Erinnerungen Überlebender erzählt und von Tänzen des Dämons begleitet. Figuren aus dem Schattenspiel kommen dazu, von bösen Geistern und Totenköpfen verfolgt.

So legen sich in dieser Performance die Zeiten übereinander. Der Tanz verändert seine Formen nicht, aber gerade aus dieser Beharrlichkeit gewinnen seine Zeichen eine neue Bedeutung. Vom Publikum weiß wohl kaum jemand, welche Position der Hände zu den weiblichen Rollen des Hoftheaters und welche zu den männlichen gehört; das schien auch erst einmal egal.

Am Morgen aber hatten die Teilnehmer der Cambodian Session lange an den Ausgangspositionen der Rollen von Männern und Frauen gearbeitet. „Put all your energy in your wrist“, rief die Übersetzerin den Künstlern aus Asien, Afrika und Europa zu, die ihre Handgelenke mit der Kraft des ganzen Körpers weich kneten sollten. Em Theay und ihre Tänzerinnen gingen zwischen den Teilnehmern umher, modellierten Wirbelsäulen, schoben Hüften, falteten die Beine ächzender Musiker aus Nigeria, bogen Finger und richteten zuletzt den Blick der Übenden aus, bis man eine Ahnung vom komplexen Netz der Linien bekam, die durch den Körper fließen und in den Richtungen der Blicke über ihn hinaus. Die Bewegungen sind nicht groß, und ihre Unterscheidungen verlangen eine körperliche genaue Wahrnehmung. So kann eine Auseinandersetzung beginnen noch vor der Arbeit an Begriffen: die kulturelle Prägung des Körpers einmal von innen ertasten.

Denn das Festival „In Transit“ trägt als Untertitel „The Berlin Lab. Transforming The Arts“. Die Aufführungen am Abend sind nur Teil der Kommunikation. Fast alle Künstler haben darüber hinaus Konzepte entwickelt, wie sie ihren Arbeitsprozess für andere öffnen können. Die japanischen Sexarbeiter zum Beispiel hatten am Morgen das Laboratorium in den Frühstücksraum eines Hotels verwandelt und setzten sich wie gute Wirtinnen zu allen Teilnehmern kurz an den Tisch. Sanftes Gemurmel lag über dieser „Gesprächsinstallation“. Manchmal muss die Kunst eben dem Leben ein wenig auf die Sprünge helfen.

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