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jenni zylka über Sex & Lügen Gipfeltreffen mit Anna und John

Der letzte Mythos nach dem Yeti und dem fliegenden Holländer: der G-Punkt

War just in England, wo die Männer so lange Wimpern haben wie mittelalte Transen und beim Blinzeln dadurch mindestens Windstärke 4 erzeugen. Die Frauen sind so kälteunempfindlich wie Yetis und waten darum mit nackten Beinen in Sandalen durch englisches Schnee- und Regengestöber. Verrückte Welt.

Außerdem sagt man, dass Tommys und Tommyrinnen an sich viel prüder seien als andere EuropäerInnen. Volkskundler begründen diese Behauptung gerne mit dem Hinweis auf die Schimpfwortkultur: Im Englischen wiesen die vielen sexuell gefärbten Schimpfwörter (you bitch, you sucker) auf das starke Tabu Sexualität hin, während beispielsweise wir putzsüchtigen Deutschen die schlimmsten Beleidigungen beim Thema Sauberkeit angesiedelt haben und darum die, die uns die Parkplätze wegschnappen, am liebsten als „dreckiges Schwein“ oder „dumme Sau“ beschimpfen. Wenn man sich weiter in diese quasirassistischen, vorurteilsgeprägten Kategorien hineinwuselt, müssten also das italienische Lieblingsschimpfwort „du Kinderfeind“, das schwedische „du Antialkoholiker“ und das monegassische „du Sozialhilfeempfänger“ lauten. Ich werde das beizeiten nachprüfen und meine Ergebnisse veröffentlichen.

Eigentlich wollte ich aber von jener, wenn man der Schimpfworttheorie Glauben schenkt, merkwürdigen Sendung erzählen, die ich im englischen Fernsehen anschaute. Merkwürdig darum, weil sie für eine angeblich so prüde Nation ziemlich zur Sache kam. Es ging um den G-Punkt und um die aufregende Suche nach ihm. Ein sympathisches nordenglisches Arbeiterklassepärchen um die 30, Anna und John, begab sich sozusagen vor laufender Kamera auf die lange und beschwerliche Reise dorthin.

Während Anna und John von ihren durch Hilfsmittel wie Literatur, Biobauplänen und Freundinnenratschlägen angereicherten nächtlichen Erfahrungen plauderten, schwelte in mir immer stärker ein bestimmter Verdacht: Der G-Punkt scheint große Ähnlichkeit mit jenem Spunk zu haben, den Pippi Langstrumpf nach längerer Suche irgendwann beim Kaffeetrinken zufällig entdeckt. Ihm wohnt damit auch etwas Zen-Buddhistisches inne: Man darf ihn nicht zu verzweifelt finden wollen, sondern eher ohne konkretes Ziel etwas in der Gegend herumspielen. Und dann plötzlich – Bingo – hit the bull’s eye bzw. hit the spot!

Natürlich lernte ich von Anna und John zunächst eine Menge interessanter Fakten. Dass ein Herr Doktor Ernest Gräfenberg im International Journal of Sexology 1950 das erste Mal von einem „Bereich an der oberen Vaginalwand entlang des Verlaufs der Harnröhre“ geschrieben hat, auf dessen Stimulation die meisten seiner „Patienten“ wohl für die damaligen Verhältnisse ziemlich verhaltensauffällig reagierten. Götter in Weiß, dachte ich fassungslos: Nennt der US-Doc einfach mal eine Zone im weiblichen Körper nach sich selbst, als ob er eine Straße, ein Schiff oder einen Planeten tauft!

Aber ich bin ihm nicht böse. Hat man den Punkt erst mal ausgemacht, scheint er jedenfalls Wunder zu wirken, das berichteten nach der dritten und erfolgreichen Expeditionsnacht erfreut und zerzaust auch Anna und John. Wie sie „die etwas raue, anschwellende Stelle“ genau gefunden hatten, mochten sie zwar nicht sagen, aber vor allem die Suche schien ihnen Fez gemacht zu haben.

Annas und Johns FreundInnen, die in dem englischen G-Punkt-Brennpunkt von ihren persönlichen Erfahrungen erzählten, konnten sich ebenfalls auf keine genaue Anleitung zur G-Punkt-Findung einigen. Die eine schwor auf die Löffelstellung, die andere auf a tergo, die Dritte fand ihn ohnehin nur ohne Mann, und die vierte, zugegeben, ein, was Organlehre betrifft, relativ schlichtes Gemüt, war bis zu der Sendung überzeugt davon, ihr G-Punkt sei „irgendwo am Nacken“. Aber jetzt, wo sie darüber nachdachte, sei ihr auch schon aufgefallen, dass tief drinnen manchmal der Bär los sei. Nach Dr. Gräfenberg übrigens fünf bis zehn Zentimeter tief drinnen.

Es gibt offensichtlich auch im Jahre 52 nach der Benennung und Billionen Jahre nach dem ersten Homo sapiens feminum immer noch weder eine eindeutige Landkarte noch eine eindeutige Definition der Funktion dieser G-Gegend (ein amerikanischer Körperforscher nannte das Gebiet vor ein paar Jahren wegen seiner angeblich huckeligen Form und Konsistenz „G-Gipfel“). Aber der Weg ist das Ziel. Wir werden also weitersuchen müssen, jede für sich und Dr. Gräfenbergs NachfolgerInnen für uns alle. Bis wir ihn irgendwann zufällig entdecken, vielleicht sogar beim Kaffeetrinken.

JENNI ZYLKA

Fragen zu Sex & Lügen? kolumne@taz.de

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