: Kabinett um zehn Sitze kleiner
Israel nennt Reformen in palästinensischer Regierung „kosmetisch“. Arafat behält sich letztes Wort über Sicherheitskontrolle vor. Soldaten erschießen mindestens einen Menschen und umzingeln Regierungssitz in Ramallah. Scharon trifft Bush
aus Jerusalem ANNE PONGER
Die israelische Armee ist in der Nacht zum Montag erneut mit Panzern und Artillerie in die Westuferstadt Ramallah eingedrungen. Bereits am Donnerstag war das ohnehin schon weitgehend zerstörte Hauptquartier von Palästinenserführer Jassir Arafat fast dem Erdboden gleichgemacht worden. „Es bleibt kaum noch was kaputtzumachen“, sagten palästinensische Augenzeugen am Telefon, während über die Stadt erneut eine Ausgangssperre verhängt wurde.
Als Gründe für die auch in Israel immer schwerer zu erklärenden Militäroperationen gab ein Militärsprecher die Wochenendattacken auf jüdische Siedlungen im Westufer und Gazastreifen an. Die Armee übernahm die Kontrolle über eine Reihe offizieller Institutionen, darunter die Studios ausländischer Fernsehanstalten. Das Flüchtlingslager al-Amari wurde von Soldaten besetzt. Dabei wurde ein Palästinenser bei Gefechten erschossen.
Am Sonntagabend hatte die palästinensische Autonomieverwaltung ihre erste Regierungsreform verabschiedet und das Kabinett um zehn Sitze auf künftig 21 Minister verkleinert. Ziel der Reform soll sein, so teilte Informationsminister Jassir Abed-Rabbo, der künftig auch das Ministerium für Kultur leiten wird, die Verwaltung durchsichtiger zu machen, die Institutionen wieder aufzubauen und die Kosten der Verwaltung herabzusetzen. Zwölf Minister wurden von ihren Posten entlassen, darunter der Minister für Jerusalemangelegenheiten, Siad Abu Siad, sowie Justizminister Freih Abu Meddein. Neu im Kabinett ist der künftige Innenminister General Abdel Rasak Jehije. Er wird offiziell dem in Zukunft verkleinerten Sicherheitsapparat vorstehen.
Arafat hatte in den vergangenen Jahren das Innenministerium mitverwaltet. In Israel kam der Verdacht auf, dass Arafat, der mit der Ernennung Jehijes prominentere Anwärter überging, die Kontrolle über die Sicherheitsdienste auch künftig nicht aufgeben wird. Der 73-jährige Jehije war vor der Gründung der Autonomiebehörde Kommandant in der Palästinensischen Befreiungsarmee. Nach 1993 leitete er wiederholt die palästinensischen Sicherheitskomitees bei den Verhandlungen mit Israel.
Der zweite wichtige neue Mann in der Regierung heißt Salim Fajed. Er wird künftig für das Finanzministerium zuständig sein. Der 50-Jährige war bislang Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds. Mit seiner Ernennung wollte Arafat offenbar dem internationalen Ruf nach einem Profi im Amt nachkommen. Die USA und Europa forderten ein Ende der Unregelmäßigkeiten im Ministerium und größere Transparenz.
Das neue Kabinett gilt als Übergangsregierung und soll, so erklärte Abed-Rabbo, auch ein Gremium sein, um die für Januar 2003 festgelegten Wahlen vorzubereiten. Geplant sind dann ein neuer Legislativrat und ein neues Parlament. Zum letzten Mal fanden im Januar 1996 Wahlen statt. Die bevorstehenden Regierungswahlen sind seit Mai 1999, dem in der Osloer Prinzipienerklärung festgehaltenen Datum für eine endgültige Friedenslösung zwischen Israel und den Palästinensern, überfällig.
Israels Premierminister Ariel Scharon, der am Montag mit US-Präsident George W. Bush zusammentraf, nannte die palästinensischen Reformen „kosmetisch“. Solange der Sicherheitsapparat und die „Regierungsfäden“ in den Händen Arafats seien, könnten die Reformen nicht als ernsthaft bezeichnet werden. „Das Problem ist, dass wir keinen Hauch von Vertrauen mehr in Arafat setzen“, meinte ein israelischer Regierungssprecher am Montag.
Seit Beginn der Militäraktion „Schutzwall“ ist die Bevölkerung von Ramallah nicht mehr in der Lage, ein normales Leben zu führen. Die Kinder gehen seit Monaten nicht mehr zum Unterricht. Die Straßen zwischen den Städten und Dörfern sind nach wie vor gesperrt. „Die Schaffung von Bantustans in den Palästinensergebieten ist den Reservesoldaten kaum bewusst und bleibt der israelischen Bevölkerung durch selektive Berichterstattung und Zensur verborgen“, klagt die israelische Journalistin Amira Hass von der Tageszeitung Haaretz, die als einzige israelische Berichterstatterin in Ramallah ausharrt.Auch sie fühlt sich von ihrer linksliberalen Zeitung nicht ausreichend in die englische Ausgabe übersetzt: „Was immer für ausländiche Gemüter für zu explosiv erachtet wird, wird tagtäglich gar nicht erst für die englische Ausgabe erwogen“, sagte sie am Sonnntag der taz.
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