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Bauarbeiter: Zögernd kampfbereit

Bis Donnerstag reisen die Urnen: Die Urabstimmung zum ersten bundesweiten Baustreik der Nachkriegsgeschichte läuft. Mit gemischten Gefühlen sind Sachsens Bauarbeiter dabei: Manche Bauchefs drohen schon jetzt indirekt mit Entlassungen

aus Dresden MICHAEL BARTSCH

„Kampfbereit!“ steht auf dem Karton, der Hans-Jürgen Müller und Steffen Berger vom Dresdner IG-BAU-Bezirk als fliegende Wahlurne dient. Bis Donnerstag touren sie so durch Sachsen und agitieren zumindest ihre Gewerkschafter für die Streik-Urabstimmung. Doch die Kollegen auf den Baustellen sehen nicht gerade aus wie Ikonen des Klassenkampfes. Manchmal kommt nicht mehr als ein verstohlenes Nicken auf die Fragen. Ja, die Angst vor den Folgen des Streiks gehe um im Baugewerbe. Manche Chefs würden indirekt mit Entlassungen drohen. Und so ein ungewohnter Streik könne auch nach hinten losgehen. Nicht nur in Sachsen geht es nach dem Boom der ersten Hälfte der Neunziger weiter bergab mit dem Bau. Von 950.000 Beschäftigten bundesweit sieht der Bauindustrieverband fast die Hälfte gefährdet.

An der Großbaustelle für das Dresdner Kongresszentrum haben am Freitag zwar die meisten eine Aufforderung zum Warnstreik befolgt. Dennoch will ihn ein Arbeiter, der nicht Mitglied der Gewerkschaft ist, nicht unbedingt unterstützen: „Das geht auf Kosten kleiner Firmen!“ Er habe vor zwei Jahren schon einmal solch eine Pleite erlebt, weil Tariflöhne gezahlt werden sollten. Man könne natürlich auch nicht ernsthaft gegen das Tariftreuegesetz der Bundesregierung sein, aber alles müsse „im Rahmen bleiben“.

Ganz ähnlich hatten die CDU-geführten ostdeutschen Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen die Ablehnung dieses Gesetzes zur Vergabe öffentlicher Aufträge ausschließlich an tarifgebundene Unternehmen im Bundesrat begründet. Sie leisteten damit zugleich einen Offenbarungseid: Nur durch Dumpinglöhne ist die ostdeutsche Bauwirtschaft konkurrenzfähig.

Steffen Berger von der Dresdner IG Bauen-Agrar-Umwelt weiß zwar auch von einer „zögerlichen Haltung“ vieler Kollegen. Andererseits kennt er ebenso viele, denen „die Wasserkante an der Nase steht“. Dabei geht es nicht mal in erster Linie um ausländische Billigkonkurrenz. Für Berger geht es bei dem geplanten ersten Arbeitskampf im Bau seit 50 Jahren um eine Grundsatzentscheidung: ob man weiter mit Dumpingbedingungen auf den gnadenlosen Wettbewerb reagieren solle oder zumindest den Versuch einer Rückkehr zu Tarifen unternehmen wolle.

Es geht dabei nicht nur um 4,5 Prozent mehr Lohn. 8,63 Euro im Osten und 9,80 Euro im Westen an Mindestlohn machen niemanden reich, der solche Löhne immerhin noch bekommt. Eine andere wichtige Frage ist die der Eingruppierung. Ginge es nach den Arbeitgebern, würde künftig nicht mehr nach Qualifikation, sondern nach gerade ausgeübter Tätigkeit bezahlt. Eine Zimmermann, der vorwiegend für die Schalung eingesetzt wird, rutschte dann beispielsweise zwei Lohngruppen tiefer. An den Sozialkassen, einem speziell im Bau üblichen Eckpfeiler sozialer Sicherung, wollen die Gewerkschafter ebenfalls nicht rütteln lassen. Per Umlage zahlen auch die Baufirmen in diese paritätische Kasse ein. Aus ihr werden zum Beispiel Lehrlingsentgelte oder Überbrückungsgelder bei Arbeitslosigkeit mitfinanziert.

IG-BAU-Chef Klaus Wiesehügel gab sich schon am Freitag optimistisch, dass die Urabstimmung zur Streikbereitschaft führen wird. Auch wenn zum Beispiel in Sachsen selbst in Großbetrieben kaum mehr als die Hälfte der Arbeiter gewerkschaftlich organisiert ist, glaubt Sprecher Frank Kunze an ein deutliches Votum. Und sein Dresdner Kollege Steffen Berger äußert Genugtuung über die diesmal spürbare gesamtdeutsche Solidarität.

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