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Chinesische und deutsche Marsmenschen

Die seltsame Welt des interkulturellen Trainings oder: Wie man im Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen die ganze Menschheit kennen lernen kann. Über einige äußerst aufschlussreiche Eindrücke von einem Seminar für deutsche Führungskräfte im Ausland. Der Gegenstand diesmal: China

von TOBIAS HÜLSWITT

In dem großen, von Sonnenlicht durchfluteten Flur des Stuttgarter Tagungszentrums Hohenheim verliert sich eine Hand voll Manager und Managergattinnen neben zwei langen, mit Kaffeegeschirr bestapelten Tischen, während sie auf den Beginn ihres interkulturellen Trainings warten. Zweimal im Jahr bereitet das Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart (ifa) deutsche Führungskräfte auf ihren Einsatz im Ausland vor. Diesmal geht es um China. Die ifa bezeichnet ihre Klienten als „Auslandsentsandte“. Sie selbst nennen sich Expatriates, oder kurz: Expats. Als sich die Tür des Seminarraums öffnet und die Kursleiterin sie hereinbittet, treten sie beinahe schüchtern ein und suchen sich still ihre Plätze.

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Veronika Rolle und Pengfei Wu, die interkulturellen Trainer, beginnen das Seminar, das zwei Tage dauern wird, mit einer Vorstellungsrunde. Frau Rolle ist studierte Sinologin und lebte und arbeitete in China. Herr Wu, ein Mensch von anscheinend grenzenloser Höflichkeit und Freundlichkeit, ist Wirtschaftsingenieur und lebt seit 14 Jahren in Bayern. Unter den Kursteilnehmern ist Markus Greiff der Jüngste. Gerade Anfang 30, wird er im Auftrag eines deutschen Telekommunikationsunternehmens nach Schanghai gehen. Zuletzt war er drei Jahre in Tschechien, davor in Indonesien.

Jürgen Schläfer, Manager eines deutschen Multikonzerns, führt mit seiner Frau seit Jahrzehnten das Leben der Expatriates. Mit Ende 50 stehen sie vor ihrem dritten mehrjährigen Auslandseinsatz. „Wenn Ihr Mann ins Ausland geschickt wird, gehen Sie dann ganz selbstverständlich mit?“ Gertrud Schläfer: „Ja, ich habe das immer als Horizonterweiterung begriffen. Ich verlege bloß die Küche in ein anderes Land. Ich profitiere davon und nehme etwas für den Rest meines Lebens mit.“

Alexander Reich, Mitte 30, ist Generalmanager eines deutsch-chinesischen Jointventures. Seine gleichaltrige Frau und ihre gemeinsamen drei Kinder werden ihn für vier Jahre nach China begleiten. Was ihre eigene berufliche Zukunft angeht, gibt sich Frau Reich naturgemäß keinen Illusionen hin. Wenn sie zurückkommen, sagt sie, werde es zu spät sein, in einen Beruf einzusteigen. Dennoch, in Deutschland zu bleiben und eine Fernbeziehung zu führen, käme für sie nicht in Frage.

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Schon am ersten Tag zeigt sich, dass die Seminarteilnehmer bereits einiges über China und „den Chinesen“, wie öfters gesagt wird, gehört haben: Der Chinese isst Bernhardiner, er kann nicht in großen Zusammenhängen, sondern nur in Abschnitten denken, und Schwarzen gegenüber ist er rassistisch. Wenn man ihn fragt, ob er verstanden habe, wird er immer Ja sagen, aus Freundlichkeit. Liegt jemand verletzt auf der Straße, geht der Chinese vorüber, es sei denn, er ist mit dem Verunglückten verwandt. Er rotzt, zieht hoch, schmatzt beim Essen und geht im Schlafanzug einkaufen. Aber wenn ein Europäer sich beim Essen die Nase putzt, ekelt er sich.

„Herr Wu, ich habe das Gefühl, dass wir in diesem Seminar über Chinesen reden, als seien sie Marsmenschen.“ Herr Wu: „Das verstehe ich vollkommen. Für Chinesen sind die Deutschen ja auch Marsmenschen.“

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Am Abend des ersten Tages hält Jürgen Gunter, der im Auftrag eines französischen Telekommunikationsunternehmens in China gelebt und gearbeitet hat, ein Referat über seine Expat-Zeit. Durch seine Bereitschaft, Chinesisch zu lernen, so Herr Gunter, habe er viele chinesische Freunde gefunden. Während er spricht, spürt man, dass er dort Glück erfahren hat. Eines Tages, erzählt er, hätten sich seine chinesischen Mitarbeiter zusammengesetzt und einen chinesischen Namen für ihn gesucht. Da er 14 Jahre zur See gefahren war, tauften sie ihn Gutao, Ehrwürdige Welle. Allein dieser schöne Name, sagt Herr Gunter, habe ihm in China viele Türen geöffnet.

Das richtige mind setting, eine Offenheit für Menschen und fremde Kulturen, betont Herr Gunter, sei unbedingte Voraussetzung für eine erfolgreiche und glückliche Zeit im Ausland. Als abschreckendes Beispiel erzählt er von einem englischen Manager, den seine chinesischen Mitarbeiter als Reaktion auf die Kompromisslosigkeit, mit der er seinen europäischen Führungsstil habe durchziehen wollen, systematisch gemobbt hätten. Auf Herrn Gunters Frage, warum sie den Engländer nie auf seine sozialen Fehler hingewiesen hätten, sagten diese, sie hätten ihm unentwegt Hinweise gegeben.

Dann stellten sie eine Gegenfrage: Ob Herr Gunter wisse, wie man in China Frösche koche. Man setze den Frosch in einen Topf kalten Wassers und stelle die Herdflamme klein, sodass das Wasser nur langsam wärmer würde. Der Frosch bleibe hocken, bis er hinüber sei. So dumm sei der Frosch – und so dumm sei auch der Engländer gewesen.

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Markus Greiff, dessen Bammel angesichts seiner chinesischen Zukunft ihm stündlich deutlicher im Gesicht geschrieben steht, berichtet am Vormittag des zweiten Tages von einem Buch, in dem er gelesen habe, die Chinesen seien an Europäern nur interessiert, weil sie schnell deren technischen und wirtschaftlichen Vorsprung aufholen wollten, um sich danach wieder dem Gefühl der Überlegenheit ihrer 5.000 Jahre alten Kultur hingeben zu können. Unverändert freundlich und ohne Umschweife bestätigt Herr Wu: Das sei kein Geheimnis und stehe in China sogar in den Zeitungen.

Einige Seminarteilnehmer entrüsten sich. Wie anders der europäische Geschäftsmann doch ist. Der geht nach China, weil das Land so schön ist, die Kultur so reich und die Philosophie so bedeutend. Oder?

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Mittags, bei Knödelsuppe und Rinderbraten, bestätigen Herr Reich und Herr Schläfer meinen im Laufe des Seminars gewonnenen Eindruck, dass sich Manager im Ausland weniger für den Karrieresprung zu Hause als vielmehr für weitere Arbeit im Ausland qualifizieren. Zwar sei es schlecht für die Karriere, eine Abordnung in die Fremde abzulehnen, zu lange fortzubleiben sei jedoch geradezu schädlich. Wichtige Entwicklungen in der Heimat würden verpasst, und die im Ausland gesammelten Erfahrungen seien weder im privaten noch im beruflichen Umfeld besonders gefragt.

Tatsächlich verlässt laut der Zeitschrift Harvard Business Manager ein Viertel der Rückkehrer binnen eines Jahres sein Heimatunternehmen, und zwei Drittel haben erhebliche persönliche wie berufliche Schwierigkeiten, sich in ihre alte Umgebung wieder einzugewöhnen. Schade für die Expatriates – aber auch für die Unternehmen, denn, so der Harvard Business Manager, Mitarbeiter, deren im kostspieligen Auslandseinsatz gesammelte Erfahrungen ungenutzt bleiben und deren Integrationsschwierigkeiten die Arbeitsabläufe zu Hause behindern, kommen die Unternehmen sehr viel teurer, als ein Programm zur Auswertung ihrer Erfahrungen und zur Reintegration es täte.

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„Haben Sie im Ausland Erfahrungen gemacht, die Sie Freunden in Deutschland nicht vermitteln können?“ Markus Greiff: „Sicher! In Indonesien habe ich erlebt, dass viele Kollegen verrohen. Die leben dort ihren Sexualtrieb aus, und am Ende haben sie so ein Bumstouristenimage. Ich habe das nie gemacht, aber auf gewisse Weise kann ich es verstehen. Du lebst im Ausland sehr isoliert. Du wünschst dir Privatleben, und da du als Deutscher sehr reich bist, kommen die Frauen auf dich zu. Sie sind attraktiv und gut gekleidet, und du stellst fest, dass du ein Privatleben nur durch eine Freundin bekommen kannst. Die Frauen, die du kriegst, sind zwar gar nicht der Typ, den du suchst, aber trotzdem genießt du es aufgrund deiner Situation und machst irgendwelche sexuellen Erfahrungen. Und das passiert Leuten, die ganz normal denken und die, wenn sie zurückkehren, auch nicht so weitermachen.“

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In einer Kaffeepause möchte Frau Reich von Herrn Wu wissen, wie diskret die Chinesen seien. „Äußerst diskret“, sagt Herr Wu. „Wenn ihr Mann eine Freundin hätte“, fragt sie laut und unerschrocken, „und es einem chinesischen Kollegen erzählte, würde sie, Frau Reich, es dann erfahren?“ „Niemals!“, sagt Herr Wu.

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„Herr Wu, Sie haben erst als chinesischer Expatriate in Deutschland gelebt, später als Chinese mit deutscher Staatsangehörigkeit das Leben eines Expatriates in Schanghai geführt. Was ist für Sie Heimat?“ Herr Wu: „Ich denke, wenn man die Heimat verlässt, ist sie in der Vorstellung ausschließlich schön. Erst wenn man zurückkehrt, merkt man, wie viele Probleme es dort gibt! In jenem Jahr in Schanghai war ich abgesichert durch ein dichtes familiäres Netz. Dennoch habe ich mich fürchterlich nach meiner Heimat Bayern gesehnt. Wieder dort, hatte ich erst einmal endlos mit der deutschen Bürokratie zu kämpfen. So schön, wie die Sehnsucht sie einem erscheinen lässt, kann die Heimat leider niemals sein.“

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Am späten Nachmittag des zweiten Tages verabschieden sich unsere interkulturellen Trainer, und nur Sekunden später ist der große, helle Flur vor dem Seminarraum wie ausgestorben. Niemand hat sich wirklich tschüss gesagt. Die Manager schienen es eilig zu haben auf ihrem Weg ins Unbekannte.

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