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Die Bombe, die Bush nützt

Die Festnahme eines US-Bürgers, der im Auftrag von Al-Qaida einen Anschlag mit einer „schmutzigen Bombe“ geplant haben soll, verstört die USA

aus Washington MICHAEL STRECK

Der Schreck saß tief. In den ersten Schlagzeilen der US-Medien hieß es noch „Nuklearangriff verhindert“. Später wurde daraus der Satz „Plan für einen Anschlag mit schmutziger Bombe vereitelt“. Zuletzt wollte FBI-Chef Robert Mueller jedoch nur wissen, dass ein möglicher Anschlag mit radioaktivem Material auf US-Territorium sich im „Diskussionsstadium“ befand. Grund für die Schlagzeilen: Am Montagnachmittag hatte das US-Justizministerium bekannt gegeben, ein mutmaßliches Mitglied des Terrornetzwerks al-Qaida in den USA festgenommen zu haben. Der Verdächtige, José Padilla alias Abdullah al Muhajir, soll einen Anschlag mit radioaktivem Material geplant haben.

Der Verhaftete ist US-Staatsbürger und wurde seit längerem vom US-Geheimdienst beobachtet. Er wurde bereits am 8. Mai auf einem Chicagoer Flughafen festgenommen. Zuvor soll er sich in Pakistan und Afghanistan zweimal mit Mitgliedern der Terrororganisation al-Qaida getroffen haben. Die Fahnder wollen wissen, dass Muhajir in Pakistan im Umgang mit Sprengstoff und radiaktiven Materialien unterwiesen worden sei und später in den USA weitere Informationen sammeln sollte.

Muhajir wurde dem Verteidigungsministerium überstellt, da er als „feindlicher Kämpfer“ eingestuft wird. Diese Gefangenenkategorie hatte die Bush-Regierung während des Militäreinsatzes in Afghanistan proklamiert, da sie so verhaftete Taliban- oder Al-Qaida-Kämpfer unbegrenzt festhalten und verhören kann; ihre Rechte als Angeklagte sind stark eingeschränkt. Nach Angaben des Pentagons ist Muhajir nun auf einem Marinestützpunkt im Bundesstaat South Carolina interniert.

Auch wenn Geheimdienste und Justizministerium mittlerweile betonen, dass kein konkreter Plan für einen Anschlag existiert habe, sorgte die Meldung für große Unruhe. In Nachrichtensendungen wurden mögliche Angriffsszenarien auf die Innenstadt von Washington durchgespielt. Ausführlich wurde die Öffentlichkeit darüber informiert, welche Wirkungen die Explosionen so genannter schmutziger Bomben haben, mit welchem Grad an radioaktiver Verseuchung zu rechnen ist und wie Katastrophenpläne aussehen. Im amerikanischen Bewusstsein ist die Tatsache angekommen, dass die USA sich auf einen Anschlag einstellen müssen, der verheerendere Konsequenzen haben könnte als die Terrorangriffe vom 11. September.

Lange bevor diese Erkenntnis in den Köpfen der Bevölkerung angekommen ist und lange vor dem Arrest von Muhajir war die US-Regierung besorgt, dass Ussama Bin Laden im Besitz von radioaktivem Material ist. Die US-Geheimdienste gehen davon aus, dass Bin Laden versucht hat, waffenfähiges Plutonium oder Uran zu erwerben. Ungewiss ist, ob er es erhalten hat. Amerikanische und britische Soldaten konnten zumindest in Afghanistan keine Hinweise darauf finden. Die US-Behörden fürchten nun, dass sich al-Qaida erst gar nicht dem Risiko aussetzen will, nukleares Material ins Land zu schmuggeln. Stattdessen sollen einheimische Kriminelle, wie Muhajir, in den USA selbst radioaktive Stoffe erwerben.

Für die USA ergibt sich damit ein völlig neues nukleares Bedrohungsszenario. Bislang galt die Aufmerksamkeit der Militärs und Geheimdienstler russischen Atommeilern und Endlagern, deren mangelnder Sicherheit und dem daraus resultierenden Risiko, dass radioaktive Stoffe leicht in die Hände von Terroristen fallen könnten. Nun muss der Blick verstärkt auf die Sicherheit eigener Nuklearanlagen gerichtet werden. Die Bush-Regierung hatte bereits nach dem 11. September angewiesen, Nuklear-Detektoren an strategisch bedeutenden Orten wie Häfen und Atomreaktoren, aber auch in wichtigen Innenstadtbereichen von New York und Washington zu installieren. Doch die Zuverlässigkeit dieser Geräte ist umstritten. Die Forschungszentren des Pentagons arbeiten daher fieberhaft an neuen Technologien, um auch kleinste Mengen radioaktiver Strahlung messen zu können.

Vorerst haben diesmal die Antennen von Bundespolizei FBI und CIA offenbar funktioniert. Die Festnahme Muhajirs wird in Washington als Erfolg gefeiert, der auf die verbesserte Kooperation zwischen FBI und CIA zurückzuführen sei – Balsam für die beiden Behörden, waren sie doch in den vergangenen Wochen massiv unter Beschuss geraten, da sie beim Anti-Terror-Kampf nicht zusammen-, sondern gegeneinander gearbeitet und wichtige Warnungen über Anschlagsvorbereitungen verschlafen haben. Dennoch verwundert politische Beobachter, warum die US-Regierung erst jetzt, einen Monat später, die Öffentlichkeit über die Festnahme Muhajirs informiert. Zudem mit einer aufwändig inszenierten TV-Live-Erklärung des Justizministers John Ashcroft aus Moskau. Es darf spekuliert werden.

Zwei Erklärungen bieten sich an. Bush kann unterstreichen, wie dringend seine jüngst angekündigten Pläne zur Bildung eines eigenen Ministeriums für nationale Sicherheit sind. Verhandlungen über die konkrete Ausgestaltung der neuen Behörde im Kongress könnten damit beschleunigt und rechtzeitig zu den bevorstehenden Kongresswahlen im Herbst und symbolträchtig zum ersten Jahrestag der Anschläge vom 11. September abgeschlossen werden. Bush erhält zudem Rückendeckung für seine neue, heftig umstrittene Doktrin, die er am 1. Juni vor Kadetten einer Militärakademie verkündet hat: Die USA schließen im Kampf gegen den Terrorismus und Terror unterstützende Staaten militärische Präventivschläge nicht mehr aus. Er sieht sich nun durch die Festnahme des mutmaßlichen Al-Qaida-Mitglieds in seiner Einschätzung bestätigt, dass Terrorgruppen beabsichtigen, Massenvernichtungswaffen in ihren Besitz zu bringen und auch einzusetzen.

Kritische Stimmen in Washington weisen allerdings darauf hin, dass nach den bisherigen Informationen Muhajirs Vorbereitungen für einen möglichen Anschlag nicht gerade weit gediehen waren. Die „schmutzige Bombe“ könnte eine glänzende PR-Bombe der um ihre Anti-Terror-Konzepte bemühten Bush-Administration sein.

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