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Amerika ist mit den Einfachen

Eine Geiselnahme aus dem Geist der Kurzarbeit: Nick Cassavetes’ „John Q.“ lässt seinen Helden, den exemplarischen kleinen Mann, nicht im Stich. Liebt er doch Jesus und geht sonntags in die Kirche

von HARALD PETERS

Denzel Washington ist so gut, dass man ihn selbst in einem zweistündigen Infotainment-Special über die Lücken und Fallstricke des amerikanischen Gesundheitssystems erträgt – also in dem, was „John Q.“ tief im Innersten ist. Gewiss, der Film über den Durchschnittshelden John Quincy Archibald, der die Notaufnahme eines Krankenhauses stürmt, die Anwesenden in Geiselhaft nimmt, um das Krankenhaus zu zwingen, eine Herztransplantation für seinen Sohn in die Wege zu leiten, hat auch noch andere, sozusagen rührende, spannende und actionreiche Seiten.

Doch das sirrende Geräusch, das man beiläufig aus dem Hintergrund vernimmt, stammt nicht von einer Säge, die sich für längst überfällige Transplantationen langsam warm läuft, es stammt von der Propaganda-Axt, die Drehbuchautor James Kearns und Regisseur Nick Cassavetes mit erstaunlicher Beharrlichkeit schleifen. Und das ist natürlich gut. Denn wo kommt Amerika hin, wenn es als das Paradies der ehrlichen und einfachen Menschen den ehrlichen und einfachen Menschen in Zeiten der Not nicht mehr die helfende Hand reicht. Und eine ehrlichere und einfachere Familie als die John Q. Archibalds aus Chicago ist eigentlich kaum denkbar.

Nachdem John Q. von seiner Firma aufgrund einer wirtschaftlichen Zwangslage auf Kurzarbeit gestuft worden ist, sucht er nämlich täglich nach einem zweiten oder dritten Job. Seine geliebte Gattin Denise (Kimberly Elise) versucht derweil die finanziellen Engpässe durch die Arbeit als Supermarktkassiererin zu überbrücken. Aufgrund des knappen Budgets haben die beiden zwar ab und an kleinere Streitereien, aber niemals in Gegenwart ihres wonneproppigen Sohnes Mike (Daniel E. Smith). Ja, das Leben ist für die John Q. Archibalds nicht immer leicht, doch sonntags singen sie in der Kirche, dass Jesus sie liebt, und dann tragen sie Anzug und Krawatte, wie es sich für anständige Leute gehört.

Wer hätte also ein rettendes Spenderherz mehr verdient als der zehn Jahre alte Mike, in dem damit nicht nur der Geist der Archibalds, sondern auch des guten und besseren Amerika weiterschlagen würde? Jemand, der dafür bezahlen kann, sagt Anne Heche als Geschäftsführerin des Krankenhauses in einem so schnippischen Ton, dass einem das Blut in den Adern gefriert. Und auch James Woods kann als Chefarzt nur sagen, dass ihm die Hände gebunden sind. Derweil wiegt Robert Duvall als Geiselunterhändler der örtlichen Polizei sorgenvoll den Kopf, als müsse er wieder zwischen den leidigen Polen Recht und Gerechtigkeit eine eindeutige Entscheidung treffen. Und so ist es wieder einmal tragisch mit anzusehen, wie John Q., der exemplarische kleine Mann, vom System zum Verbrechen gezwungen wird. Doch was bleibt dem kleinen Mann anderes übrig, als mit der Waffe jene Ansprüche geltend zu machen, für die das sauer Verdiente nicht reicht?

Wobei nur noch zu sagen bleibt, dass in „John Q.“ die Weisheiten „Geld regiert die Welt“ und „Jeder ist seines Glückes Schmied“ derart klug gegeneinander ausgespielt werden, dass man viel über die Vereinigten Staaten lernt. Schön ist auch, dass sich Denzel Washington nach „Training Day“ und dem damit verbundenem Ausflug in die Unterwelt wieder stolz und stur für die Sache des Guten einsetzt. Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass „John Q.“ hinsichtlich des beliebten Genres der Transplantationsfilme eine Sackgasse darstellt.

„John Q.“. Regie: Nick Cassavetes. Mit Denzel Washington, Anne Heche, James Woods, Kimberly Elise u. a., USA 2002, 116 Minuten

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