„Der Stil ist unmöglich“

Die grüne Fraktionsspitze kritisiert ihren früheren Koalitionspartner SPD samt dem Regierenden Klaus Wowereit und räumt ein, dass ihr neuer Vorstand in der Öffentlichkeit nicht als erneuert ankommt

Ratzmann: „Von den inhaltlichen Ansätzen stehen wir viel näher bei PDS und SPD“Paus: „Eine veränderte Art und Weise in der Politik kann ichnicht feststellen“Wieland: „Bei den Solidarpakt-Verhandlungen haben wir ,Wünsch dir was‘“

Interview STEFAN ALBERTI
und ADRIENNE WOLTERSDORF

taz: Herr Wieland, der Spiegel stellt in dieser Woche die These auf, dass schon kurze Zeit an der Macht wie eine Droge wirkt. Folglich müssten auch Sie, nur sieben Monate Justizsenator, seit Januar auf Entzug sein.

Wolfgang Wieland: Wohl niemand hat vor und nach der Wahl so deutlich wie ich gesagt: Wenn wir nicht gebraucht werden in einem Senat, dann gehen wir raus. Werten Sie es als Beispiel dafür, dass keinerlei Suchterscheinungen vorgelegen haben.

Der neue Fraktionsvorstand sollte für Kontinuität und Erneuerung stehen, für alt und neu. In Erscheinung tritt aber weiter nur der alte Teil: Wieland und Klotz. Wo sind Paus und Ratzmann?

Volker Ratzmann: Das ist doch keine Situation, in der man für eine Änderung nur einen Schalter umzulegen braucht. Es war von der Fraktion gewollt, dass bis zur Bundestagswahl Kontinuität dominiert. Ich kann für mich und Frau Paus sagen, dass wir schon den Eindruck haben, in der neuen Zusammensetzung mitzugestalten.

Wieland: Die mediale Wahrnehmung kapriziert sich immer auf den Vorsitzenden, das ist leider so, und wenn es zwei sind, dann erst recht.

Ende Januar, vor der Vorstandswahl, haben Sie auf genau diesen Einwand noch erwidert: „Ich sehe diese Fixierung nicht in dieser Form.“

Wieland: In der Sache ist das Bild „Klotz und Wieland machen alles“ nicht richtig. So wurde die „Möllemann-Antisemitismus“-Debatte von Volker Ratzmann initiiert und im Abgeordnetenhaus auch für uns geführt. Ich sehe aber schon, dass der Transport in die Öffentlichkeit andere Bilder bringt.

Klaus Wowereit ist nun seit einem Jahr Regierender Bürgermeister. Hat er sich seit Juni 2001 verändert?

Wieland: Wowereit ist gespenstisch gleich geblieben.

Inwiefern?

Seine Schwächen, die schon unter Rot-Grün zu sehen waren – wenig Konzeptionelles und politisch Vorausdenkendes, mehr verwalten, mehr destruktiv die anderen Ressorts betrachten –, sind auch bei Rot-Rot geblieben.

Was hätten Sie besser gemacht, wenn Sie jetzt noch an der Macht wären?

Wir hätten den Solidarpakt, für uns eine der zentralen Aufgaben der gesamten Legislaturperiode, völlig anders gestaltet. Wir hätten nicht Azubis regelrecht aus dem öffentlichen Dienst ausgesperrt, wir hätten die Beleidigungen vom Finanzsenator bis zum Innensenator nicht zugelassen.

Aber was wäre strukturell anders gewesen?

Ratzmann: Die Kommunikation wäre eine andere …

Wieland: Eine völlig andere. Vor allem gäbe es realistische Vorgaben, was die Zahlen für das Sparvolumen angeht und für die Zeitschiene, zu einem ausgeglichenen Haushalt zu gelangen. Wir wollten den Dialog mit den Gewerkschaften, Wowereit wollte die Konfrontation, er wollte wirklich das Quietschen und Stöhnen in der Stadt hören. Das jedenfalls hat er erreicht.

Sie sagen: Die Solidarpaktverhandlungen beruhen auf unseriösen Zahlen?

Wieland: Selbstverständlich. Die Sparsumme ist uns nie vorgerechnet und unterlegt worden.

Sie haben aber doch selbst genau diese Milliardensumme in den Verhandlungen über die Ampelkoalition abgenickt.

Ja, wir haben es abgenickt. Wir haben aber gleichzeitig gesagt, so dass es jeder hören konnte und musste: Wir halten die Methode für falsch, eine Sparsumme vorzugeben. Diese Zahlen werden nicht erreicht werden. Die SPD war davon aber nicht abzubringen, und bis heute haben wir in den Solidarpaktverhandlungen eine Art „Wünsch dir was“, eine Vorgabe schlimmster planwirtschaftlicher Art.

Exsenatorin Goehler meint, Wowereit hätte den von ihm propagierten Mentalitätswechsels vergeigt – endgültig?

Lisa Paus: Ein Mentalitätswechsel kommt durch eine veränderte Art und Weise in der Politik, und die kann ich nicht feststellen. Das fängt mit dem Solidarpakt an und geht weiter mit den Haushaltsberatungen. Ein Beispiel: Wenn das Frauenprojekt Owen von seiner Schließung zum 30. Juni nur zufällig durch den PDS-E-Mail-Dienst erfährt, dann hat Frauensenator Gysi nicht nur ein Versprechen gebrochen. Dann ist das schlicht ein unmöglicher Stil.

Verstehen Sie sich eigentlich im Parlament als moralische Güteinstanz für Rot-Rot, weil Sie 90 Prozent des Koalitionspapiers mitgeschrieben haben?

Wieland: In gewisser Weise ja.

Ratzmann: Das wird von SPD und PDS so wahrgenommen. Immer wenn wir einfordern, was in der Koalitionsvereinbarung steht, werden Brüche zwischen ihnen sichtbar. Wenn wir dann zustimmen, wird das als eine höhere Weihe ihres Politikansatzes verstanden – weil wir von den inhaltlichen Ansätzen her sehr viel näher bei der PDS und der SPD stehen als bei den anderen Oppositionsparteien.

Zumindest in zentralen Themen wie Risikoabschirmung und Haushalt aber sind Sie eng bei der CDU. Und deren Frontleute Stölzl und Steffel denken laut in Richtung einer schwarz-grünen Koalition.

Ratzmann: Bei Kernthemen wie den Drogenkonsumräumen, der Flüchtlingspolitik, ökologischen Fragen gibt es gar keine bis kaum Zustimmung von CDU und FDP. In den Politikfeldern, in denen wir mit den bürgerlichen Parteien zusammenarbeiten, geht es eher darum, Fehler der Regierungskoalition abzuwehren. Ich glaube deshalb, dass es keine inhaltlichen Übereinstimmungen gibt, die uns berechtigten zu sagen, wir könnten tatsächlich eine Regierungskoalition mit der CDU eingehen.

Was erwarten Sie denn für ein rot-rot geführtes Berlin, falls Stoiber Kanzler wird?

Paus: Dann werden die Verhandlungen über eine Bund-Länder-Initiative zur Rettung des Berliner Haushalts mit Sicherheit schwieriger werden. Aber ich mache mir gar nicht so sehr Gedanken über die Folgen für Rot-Rot, sondern darüber, wohin die Republik mit Stoiber und Möllemann insgesamt abwandern würde. Dagegen ist das Berliner Finanzproblem eine Marginalie.

Wieland: Dazu wird es auch nicht kommen …

Jetzt kommt der Optimist.

… und deswegen ordnen wir alles dem Wahlkampf unter. Die CDU baggert uns auf allen Ebenen an, dass es manchen schon lästig ist. Aber mit Stoiber undWesterwelle ante portas sind wir nicht so hirnverbrannt, uns auf irgendwelche schwarz-grünen Techtelmechtel auch nur gedanklich einzulassen.

Vor dem Wahlkampf steht Ende Juni noch der Haushaltsbeschluss im Abgeordnetenhaus an. Klare Ablehnung?

Ja. Es gibt hier keinen Grund, den Haushalt in irgendeiner Weise durch Zustimmung der Opposition zu adeln.