: Bilder aus besseren Tagen – ein Jahr Klaus Wowereit
Am 16. Juni 2001 bittet ein neuer Regierender Bürgermeister den Senat des Mentalitätswechsels zum Tanz. Berlin schwoft einen Sommer. Dann kommen der Kater, die PDS und das Sparen. Ein Fotoalbum
von ROBIN ALEXANDER
An diesem Sonntag ist es genau ein Jahr her, dass Klaus Wowereit zum Regierenden Bürgermeister von Berlin gewählt wurde. In nur einem Jahr hat er in zwei unterschiedlichen Konstellationen regiert und eine weitere vergeblich verhandelt. Er hat die Neuverschuldung der Stadt auf die unvorstellbare Rekordhöhe von fast 5 Milliarden Euro getrieben und das ambitionierteste Sparprogramm aufgelegt, das es in der Bundesrepublik je gab. Mehr war im politischen Berlin nie los, seit die Mauer fiel. An Arbeit für den Regierenden mangelte es also nicht. Aber auch Wowereits persönliches Image entwickelte sich nicht nur, es explodierte förmlich.
Der langjährige Bezirkspolitiker vom Rande Westberlins wurde mit seinem überraschenden Outing auf dem Nominierungsparteitag plötzlich zur Figur der Zeitgeschichte: Deutschlands erster bekennender Homosexueller hisst die Regenbogenfahne auf dem Roten Rathaus – ein Fall fürs kollektive Fotoalbum der Republik. Sieben Monate regierte Wowereit mit den dankbaren Grünen: Sieben Monate Kulturpolitik mit Adrienne Goehler, die es als Senatorin selbst zu einem Kunstwerk hätte bringen können, sieben Monate Strafverfolgung der Bankpleitiers durch den grimmig-gerechten Wolfgang Wieland, sieben Monate ehrlichen Zahlen mit Christine Krajewski (SPD) – und über allem schwebt Wowereit auf Magazinfotos und in Talkshows. „Der Regierende Bussi-Bär“ schreibt die taz, und die Süddeutsche Zeitung spürt „Die Macht der Leichtigkeit“. Der rot-grüne Übergangssenat unter dem Motto „Mentalitätswechsel“ war eine Traumkonstellation – aber eine ohne gesellschaftliche Mehrheit. Nach der Wahl am 21. Oktober kann das niemand mehr übersehen.
Dem Rausch des Machtwechsels folgt nun der Kater. Wowereit lässt sich vom Bundeskanzler eine Ampelkoalition aufdrücken und braucht den entschlossen destruktiven SPD-Chef Peter Strieder, um sie kaputtzuverhandeln. Dann kommt die PDS – und spätestens mit der Regierungsbeteiligung der SED-Nachfolger ist Schluss mit lustig. Schwul sein und Landowsky verjagen mag noch angehen. Die Stadt der Freiheit dem Osten auszuliefern, das verzeiht das alte Westberlin dem Politiker Wowereit nicht. Auch der Person nicht: Springer-Fotografen schießen ein Foto von ihm mit rotem Stöckelschuh und Sektflasche, der Tagesspiegel erfindet den „Regierenden Partymeister“. Seine Berater der Frohnatur daraufhin die öffentlichen Auftritte als Tröster von Sabine Christiansen und sogar den Hüftschwung beim Karneval der Kulturen. Zu spät: In der öffentlichen Wahrnehmung ist aus der Leichtigkeit Wowereits über Nacht die Leichtfertigkeit geworden. Aus der Souveränität die Unseriosität.
Und jetzt geht der Ärger erst richtig los. Der alles andere als kuschelige Führungsstil des Regierenden hatte sich rasch in ganz Deutschland herumgesprochen: So drängt sich nicht gerade Spitzenpersonal in Wowereits zweiten Senat. Und anders als der rot-grüne Sommersenat muss Rot-Rot wirklich mit dem Sparen beginnen. Zu den unvermeidlichen Klagen der Betroffenen kommt Empörung über handwerkliche Fehler des Senats. Der einstige Medienliebling Wowereit macht nun einen Kommunikationsfehler („Sparen, bis es quietscht“) nach dem anderen. Ein Kommunikationsfehler auf zwei Beinen ist der in letzter Minute gefundene Finanzsenator Thilo Sarrazin.
Auch wohlwollende Beobachter fragen sich bald: Ist Rot-Rot überhaupt eine Reformkoalition? Es gibt liberale Landesgesetze, Deeskaltionsstrategien bei der Polizei und vielleicht irgendwann einen Druckraum. Aber nur, wenn er garantiert keinen Cent kostet. Die Sozialdemokratie braucht alle Kraft, um im Gegenwind auf Sparkurs zu bleiben. Der PDS scheint es schon zu reichen, Medaillen für Schriftstellerinnen von gestern auszugeben und Denkmäler für Revolutionärinnen von vorgestern aufzustellen. Gregor Gysi wirkt beinahe froh, dass er als Wirtschaftssenator kaum stattfindet.
Der weit gedachte Entwurf ist Wowereits Sache nicht, und auch in seiner Senatskanzlei scheint nicht genug intellektuelle Kapazität versammelt, um auch nur eine mitreißende Regierungserklärung zu schreiben. Aus dem fröhlich-furchtlosen Wowi-Star ist ein stummer Technokrat geworden, der herzlos sogar Auszubildende entlässt. Kann es nach einem Jahr also nur noch bergauf gehen mit Wowereit und seinem Senat? Kaum. Wenn im September Edmund Stoiber ins Bundeskanzleramt zieht, sinkt die Chance, vom Bund die überlebensnotwendigen Entschuldungshilfen zu bekommen auf null. Ängstlich blickt Wowereit zudem auf ein weiteres Damoklesschwert über seinem Haupte: Kommt das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis, er habe beim Eklat des Zuwanderungsgesetzes als Bundesratspräsident nicht korrekt gehandelt, ist er als Trickser gebrandmarkt. Wowereit hat allen Grund, sich heute die Bilder aus besseren Tagen anzusehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen