: Der Frühstücks-Teamchef
Unabhängig vom Ausgang des heutigen Achtelfinales gegen Paraguay ist eines klar: Rudi Völler hat bei dieser WM seine Reifeprüfung bestanden und aus Ribbecks Ruine eine Mannschaft geformt
aus Cheju FRANK KETTERER
Dies ist der letzte Auftritt von Rudi Völler vor dem Achtelfinale gegen Paraguay, zumindest in der deutschen Öffentlichkeit, die hier von gut 150 Journalisten vertreten wird. Eigentlich kommt Völlers Auftritt in der Korean Baseball Hall of Fame von Seogwipo, einer Art Turnhalle, in der der Deutsche Fußball Bund sein Pressezentrum eingerichtet hat, dafür ein bisschen zu spät, weil die Sätze, die er zum durchaus wichtigen Spiel zu sagen hat, in der Heimat ja erst am andern Tag, also heute, in der Zeitung stehen können und vielleicht erst gelesen werden, wenn das Spiel schon zu Ende ist und die Deutschen ausgeschieden sind oder weitergekommen, die Partie beginnt ja bereits um 8.30 Uhr (MEZ, ARD), also zur Frühstückszeit. Rudi Völler, der Teamchef der deutschen Nationalmannschaft, lässt sich von solchen Kleinigkeiten freilich nicht vom rechten Weg abbringen, federnden Fußes sucht er sich den Weg hinauf aufs Podium, nimmt dort Platz, rückt sich das Mikrofon zurecht und lässt seinen Haarschopf, der ihm als Spieler den Spitznamen „Tante Käthe“ eingebracht hat, leuchten im Licht der Scheinwerfer, die die Kameramänner angeknipst haben, um ja auch jede Gefühlsregung von Rudi Völler im Bild einfangen zu können. Grau ist er geworden, weiß schon fast, jedenfalls denkt man das in diesem Augenblick, und unwillkürlich überlegt man, ob das wohl von der Nationalmannschaft kommt und von den Sorgen, die ihm diese Nationalmannschaft bisweilen bereitet. Kurz spielt man mit dem Gedanken, sich ebenfalls zu sorgen, verwirft dieses Vorhaben aber sogleich wieder beim Blick in das Gesicht unter dem ergrautem Haarwerk, in dem sich jede Menge Konzentration und Entschlossenheit widerspiegeln, aber auch die ganze Freundlichkeit und Ruhe und Zuversicht dieses Mannes. Und dann denkt man: Wird schon alles gut gehen, und selbst wenn es nicht ganz so gut gehen sollte, selbst dann ist immer noch er da: Rudi Völler.
Michael Ballack, der Denker und Lenker der deutschen Mannschaft, dessen Mitwirken am heutigen Achtelfinale wegen einer Muskelverhärtung tags zuvor auf der Kippe stand, hat dieses Gefühl beschrieben. „Wir Spieler vertrauen ihm“, hat Ballack gesagt, und das war nicht nur ein schönes Kompliment für den Boss, sondern fasst dessen segensreiches Wirken für den deutschen Fußball in einem Satz zusammen. Denn spätestens mit dem Einzug ins Achtelfinale ist ein Stückchen Hoffnung und Glaube und eben auch Vertrauen zurückgekehrt, dass die Deutschen nicht nur ein Volk aus Rumpelfüßlern sind, sondern dass sie schon auch ein bisschen Fußball spielen können, wenn man einen wie Völler nur machen lässt.
Am besten erkennt man den Wert von Völlers Wirken dann, wenn man zurückblickt auf jene Zeit, in der es Völler noch nicht gab, jedenfalls nicht als Bundestrainer. Ein paar Schlagzeilen von damals: „Schlimmer geht’s nimmer“, schrieb der Spiegel, „Nationalelf der Schande“ die Bild, und eine „Sehnsucht nach dem anderen“ machte die taz aus. So war damals, vor zwei Jahren, als ein gewisser Erich Ribbeck bei der EM in Holland und Belgien die deutsche Nationalmannschaft abgewirtschaftet hatte, zurecht die Stimmung im Land. Das andere war am Ende und nach einigen Wirrungen Rudi Völler und tatsächlich wurde seit dem Tag seiner Teamchefwerdung doch manches anders in der deutschen Nationalmannschaft, und besser auch, das konnte man hier in Japan deutlich sehen. Das Team, das sich bei dieser WM präsentiert, ist nämlich nicht die Ruine, die Völler und natürlich auch Bundestrainer Michael Skibbe vor zwei Jahren übernommen haben. Es ist wieder eine Mannschaft, wenn auch nach wie vor eine limitierte, die ihren Fähigkeiten entsprechend manchmal mehr (Saudi-Arabien, 2. Halbzeit Kamerun), manchmal weniger gut (Irland, 1. Halbzeit Kamerun) Fußball spielt, meist aber immerhin so, dass man den Eindruck hat, sie gibt ihr Bestes.
Mehr kann ein Trainer kaum bewirken, und Völler hat das mit einer Unaufgeregtheit bewirkt, die selten ist in diesem Metier, dafür aber umso wohltuender. Der Ball ist rund, das Spiel dauert 90 Minuten, der nächste Gegner ist immer der schwerste – es sind die alten Weisheiten, die Völler während seiner aktiven Zeit verinnerlicht hat und die ihm nun auch als Teamchef helfen, Erfolg zu haben. Dass es dabei immer ein paar besserwissende Nörgler gibt, die Aufstellung und taktische Ausrichtung der Mannschaft bekritteln und darüber dann auch noch Artikel schreiben, ist völlig normal, Völler weiß das natürlich. Und reagiert auch auf solche Dinge entsprechend gelassen. Journalistenfrage: Es ist der größte Wunsch von Torsten Frings, auf seiner Lieblingsposition im zentralen Mittelfeld zu spielen. Wollen Sie ihn dort gegen Paraguay nicht einsetzen? Trainerantwort: „Es ist der größte Wunsch von Torsten, überhaupt bei dieser WM zu spielen, ganz egal auf welcher Position.“ So geht Völler mit Kritikern um – und wenn er dabei mal Watschen austeilen muss, ist er immer noch charmant.
Letztendlich ist es ja ganz egal, wie die heutige Partie gegen Paraguay ausgeht oder bereits ausgegangen ist, fest steht schon jetzt, dass Völler seine erste wirkliche Reifeprüfung bestanden hat, es geht jetzt nur noch um das Prädikat. Das Achtelfinale war des Teamchefs Ziel, hätten es die Deutschen nicht erreicht, wäre wohl heftigst darüber nachgedacht worden, wie es mit Völler bei der Nationalmannschaft weitergehen soll, oder besser: Ob es überhaupt noch weiterzugehen habe. Darüber dürften nun nur noch vereinzelt Diskussionen geführt werden. Am besten, man erspart sie sich ganz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen