documenta11 spot: William Kentridges „Zeno Writing“ auf der Bühne
Johannesburger Traumschriften
Es gebe eine Szene bei Italo Svevo, sagte Kentridge, in der ein Freund den anderen in ein lokales Geheimnis einweiht. Ich, sagt er, bin der intelligenteste Mann am Ort. Du kommst an fünfter Stelle. Die Positionen dazwischen sind zur Zeit nicht besetzt. Darin erkannte William Kentridge – und das offenbarte er dem hippen Publikum in der Aula der Frankfurter Städelschule – die Situation in Johnannesburg wieder, eine etwas abgelegene, aber auch nicht exakt provinzielle Szene: Italo Svevos Triest um 1900.
Sein Kasseler documenta-Beitrag „Zeno Writing“ collagiert und stapelt sämtliche Bilder, die sich Kentridge zwanzig Jahre nach seiner Lektüre, aber immer noch von Johannesburg aus, in Erinnerung gerufen hat. Auch die Bühnenfassung, benannt „Confessions of Zeno“ nach dem englischen Titel von Svevos Roman, basiert auf den grafischen Motiven von „Zeno Writing“. Da sind die behäbigen viktorianischen Damen; da ist die Seite eine Buchs, die sich mit handgeschriebenen Notizen füllt; da ist das schmiedeeiserne Bett, das im Handumdrehen in eine Laube wächst und sich zum Käfig schließt. Auf dem weißen Laken zwei Kissen.
Über einen grob gerasterten Bildschirm, der den linken Teil der Bühne einnimmt, entfaltet sich die zeichnerische Motivik, die Kentridge in sanften Landschaften und Interieurs wiedergibt. Durch diese „Räume“ bewegen sich höchst merkwürdige Gestalten, ein Spinnenmann, ein gehender Baum, selbst bewegliche Stühle, die viktorianischen Damen und als Sinnbild des in sich gefangenen Erzählers die schwere Figur, deren Füße beim Gang über den Horizont im Sand oder Nebel versinken. Die Gestalten sind die Schatten abstrakter Puppen, die im rechten Teil der Bühne von Mitarbeitern der Handspring Puppet Company bewegt werden. Umwerfend sind die Drehungen der Pappfiguren, die eine menschliche Figur in ein schmiedeeisernes Gitter verwandeln (etc.): die so genannte Verdinglichung, hoch komisch auf den Punkt gebracht.
Über ein komplexes Licht- und Linsensystem werden die Puppen als Schattenrisse in die zeichnerische Szene des Bildschirms projiziert. So verbinden sich die erschreckenden mittelalterlichen Traumfiguren mit den (gewissermaßen playback gelieferten) weicheren Zeichnungen von Kentridge, die somit als schwarzweißer Teil des Bühnenbilds fungieren.
Das ist quasi der Mittelgrund der Bühne. Im Vordergrund, vor den Puppenspielern, ergänzt ein leibhaftiges Streichquartett die ansonsten abwesenden Orchester und Chöre. Vor der Leinwand entfaltet ein Erzähler namens Zeno (Dawid Minnaar) die Geschichte des Sohnes, der über den dramatischen Tod des Vaters (Otto Maidi) hinaus auch dann nicht aufhört, ein Sohn zu sein, wenn er zwischen Ehefrau und Liebhaberin willenlos gefangen ist. Die Frauen haben rührende melancholische Gesangsparts, die die letzte halbe Stunde der Aufführung bestimmen. Es sind Lwazi Ncube und Phumeza Matshikiza, Sängerinnen im klassischen Opernfach. Aber nicht nur die Frauen sind Schwarze, sondern auch der Vater. Nicht aber der Sohn. So kommt William Kentridges autobiografische Lesart der südafrikanischen Gesellschaft zurück, deren fatalistisches Unwohlsein vor dem Ende des Apartheidregimes sein Werk beschreibt, ohne auf die Verhältnisse danach Bezug zu nehmen. (Das erledigt Coetzee.)
Es gibt einen entscheidenden poetischen Aspekt in Svevos Roman, den Kentridge nicht direkt anspricht: die Psychoanalyse. Denn Zenos Bericht ist die Selbstanalyse eines Patienten, der an sieben Ärzten gescheitert ist (oder andersherum). Mit dem documenta-Film „Zeno Writing“ steigt er in den inneren Apparat unwillkürlicher Erinnerungen: Wir lesen dort quasi die Traumschrift. Auf der Bühne, „Confessions“, sehen wir nun den Apparat in Bewegung, wie er den Kampf zwischen den Instanzen ausficht, als vertracktes Spiel mechanischer und elektrischer Prozesse, wie die frühe Psychonalyse den Seelenapparat beschrieben hat. So könnte man vielleicht den „Widerstand“ der deutschen Theaterkritik gegen Kentridges Bühnenwerk erklären.
William Kentridges Theater ist genau die grenzübergreifende Medienkunst, von der alle träumen. Im Kern ist sie Handarbeit; aus Improvisation geschöpfte präzise Choreografie. Das Frankfurter Publikum, trainiert durch das Tanztheater von William Forsythe, verstand sofort und war begeistert.
ULF ERDMANN ZIEGLER
W. Kentridge: „Confessions of Zeno“. Kommunikationsfabrik, Schmidtstr. 12, Frankf./M.; 15., 16., 17.,19. Juni.
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