piwik no script img

Die Trotzdemisten bleiben ihrer Sache treu

Gefährlich waren vor allem die Buletten auf dem Grill: Am Wochenende fanden im Mehringhof zum ersten Mal die „Linken Buchtage Berlin“ statt

Verklärt oder nicht, die Vergangenheit steht in Kontrast zur heutigen Tristesse

Nirgendwo sonst im ehemaligen Westberlin drängeln sich so viele alternative Läden und Initiativen an einem Ort wie in den Tiefen des Mehringhofs. Seit über zwanzig Jahren sind die ehemaligen Gewerbehöfe an der Kreuzberger Gneisenaustraße fest im Besitz einer Genossenschaft. Also genau das passende Ambiente für die „Ersten Linken Buchtage“. Mehrere dutzend alternativer Verlage und Buchläden waren am Wochenende dort zu Gast: Die Spannbreite reichte vom nicht ganz so traditionsreichen Berliner Verbrecher-Verlag über den Kreuzberger Infoladen M99 („Revolutionsbedarf und Gemischtwarenladen“) bis zum renommierten Hamburger „Verlag für das Studium der Arbeiterbewegung“ (VSA-Verlag).

Ähnlich wie der Mehringhof selbst reicht die Gründungsgeschichte vieler Aussteller in die wilden Siebzigerjahre zurück. Der Trotzdem-Verlag zum Beispiel wollte bei seiner Gründung 1978 durch „libertäre politische Sachbücher“ und Literatur „trotz alledem“ zum „Erhalt und zur Entwicklung einer lebendigen Gegenkultur beitragen“. Wie die eigens in den Mehringhof verlegte Genossenschaftsversammlung des Verlags zeigte, sind die Trotzdemisten auch organisatorisch der Sache treu geblieben.

Die inhaltlichen Schwerpunkte der Linken Buchtage lagen oft abseits des linken Mainstreams: Der zu Wendezeiten in Ostberlin gegründete Basisdruckverlag etwa stellte mit Andreas Hansens und Hubert van Bergs Buch „Wir sind die Genossen Piraten“ die Geschichte einer kommunistischen Schiffskaperung vor. Eine bizarre Fußnote der deutschen Literaturgeschichte: 1920 entführte der expressionistische Schriftsteller Franz Jung die „Senator Schröder“ von Cuxhaven ins russische Murmansk.

Einen Helden ganz anderen Zuschnitts hatte die Hamburger Edition Nautilus mit dem irischen Hooligan und Intellektuellen John McGuffin im Programm. In den Storys des unlängst verstorbenen Enfant terrible dreht es sich etwa um misslungene Banküberfälle, bekiffte Hochzeitsgäste oder die Landung von Aliens in der Grafschaft Fermanagh. Vorgestellt wurden die Texte von McGuffin-Übersetzer Jürgen Schneider.

Gerd Dombrowski nahm mit seinem Satire-Sammelband „Die neuen Heiligen“ Lichtgestalten wie den Dalai-Lama, Jenny Elvers und Franz Beckenbauer auf die Schippe. Unsere postmodernen Ikonen, so Dombrowski, sind Ausdruck eines, wenn nicht menschen-, so doch immerhin zuschauerverachtenden Unterdrückungssystems.

Eine kernige Alternative zum Medienterror der neuen Mitte bot Herausgeber Wolfgang Eckhardt mit einer Einführung in die Schriften des russischen Anarchisten Bakunin. Das Thema Freiheit bekam äußerst aktuelle Züge: Mit der Präsentation von Peter Novaks Buch zu Gefängnissystem und Gefangenenwiderstand in der Türkei wollten die Veranstalter dazu beitragen, dass die Frage von politischer Gefangenschaft und Solidarität der Linken wieder diskutiert wird – was in der anschließenden Diskussion auch geschah.

Weitere Schwerpunkte vom Afghanistankrieg über Abu Jamal bis zur Faschismustheorie ergänzten den aktuellen Kontext. Zum Abschluss der Buchtage war eine Diskussionsveranstaltung zum Thema „Verklärte Blicke auf die RAF“ vorgesehen. Neben Ex-RAF-Mitglied Karl-Heinz Delwo hatte man den Filmemacher Gerd Conradt („Starbuck Holger Meins“) und den Autor Leander Scholz (RAF-Roman „Rosenfest“) geladen. Doch ob mit oder ohne Verklärung: Überall dort, wo auf den linken Buchtagen die bewegte Vergangenheit beschworen wurde, stand das im merkwürdigem Kontrast zur harmlosen Tristesse, die die Mehringhöfe in der Gegenwart ausstrahlen. Wenn etwas wirklich gefährlich aussah, dann waren das die heftig qualmenden Buletten auf den Grillrosten.

ANSGAR WARNER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen